Nach den MotoGP-Wintertestfahrten deutete 2024 alles auf eine weitere dominante Saison für Ducati hin. Der Hersteller aus Borgo Panigale erzielte an allen fünf Testtagen in Sepang und Losail die Bestzeit, durfte sich teilweise über eine Vierfachführung freuen. Die bisherigen drei Rennwochenenden fielen für Ducati aber deutlich weniger souverän aus. Aprilia konnte mit Maverick Vinales zwei Sprints und den Grand Prix in Austin gewinnen. Auch KTM sitzt Ducati im Nacken.

Der Grund für die verlorengegangene Ducati-Dominanz ist bekannt. Francesco Bagnaia und Co. kämpfen mit massiven Chattering-Problemen, also starken Vibrationen, die das Motorrad teilweise fast unkontrollierbar machen. Die Ursachen für derartiges Chattering sind allerdings extrem schwer zu finden. Denn Vibrationen an einem Motorrad sind normal, werden aber dann problematisch, wenn sich mehrere von ihnen überlagern und so verstärken. Diese Vibrationen können ihren Ausgang im Motor, im Fahrwerk oder im Rahmen eines Bikes nehme - oder auch externe Ursachen haben.

Neue Reifen in Moto2 und Moto3: Pirelli schuld an Ducatis Problemen?

Genau das könnte nun bei Ducati der Fall sein. Der mögliche Ursprung allen Übels: Neue Reifen. Zum einen in der MotoGP, wo die Michelin-Pneus des Jahrgangs 2024 deutlich mehr Grip bieten, aber auch in den Klassen Moto3 und Moto2. Nach vielen Jahren mit Einheitslieferant Dunlop wurde dort zur Saison 2024 auf Pneus von Pirelli gewechselt. Die Dunlop-Reifen waren bekannt dafür, mit ihrem Abrieb das Grip-Niveau für die Königsklasse negativ zu beeinflussen. Ihre Gummimischung vertrug sich nicht mit jener von MotoGP-Lieferant Michelin. Mit der Übernahme durch Pirelli hat sich das geändert. "Die Pirellis beeinflussen unseren Grip nicht so stark, wie das mit den Dunlops der Fall war", erklärt Routinier Aleix Espargaro. "Im Vorjahr hat es sich oft angefühlt, als würde man auf Eis fahren. Das ist jetzt nicht mehr der Fall."

Was aber hat all das mit Ducatis Problemen zu tun? Chattering tritt im Normalfall auf, wenn sehr viel Grip zur Verfügung steht. Ein Phänomen, das sich leicht simulieren lässt. Streicht man mit dem Finger leicht über eine Oberläche, etwa eine Glasscheibe, passiert das relativ fließend. Erhöht man den Druck, beginnt der Finger zu springen - vergleichbar mit dem Hüpfen eines MotoGP-Bikes unter Chattering. Der höhere Grip in den MotoGP-Rennen 2024 könnte also der Ausgangspunkt für Ducatis Schwierigkeiten sein. Mehrere Indizieren deuten darauf hin:

  • Nummer 1: Erstmals bereitete das Chattering den Ducatisti in den letzten Runden des Katar-Tests Kopfzerbrechen. Also in der Phase der Testfahrten, in der die Strecke durch hunderte gefahrene Umläufe den besten Grip aufwies.
  • Nummer 2: Lauscht man den Ausführungen der Ducati-Fahrer nach ihren Rennen, klagen sie im Normalfall über eines von zwei Problemen. Chattering oder extrem schlechten Grip. Technikguru Gigi Dall'Igna und sein Team scheinen also den goldenen Mittelweg noch nicht gefunden zu haben. Entweder hat die Maschine gute Bodenhaftung und vibriert dabei stark, oder sie dreht ihre Runden ohne das verhasste Chattering, baut dabei aber auch keinen Grip auf.
  • Nummer 3: Chattering-Beschwerden sind 2024 nicht nur von den Fahrern auf der aktuellen Version der Ducati Desmosedici (Francesco Bagnaia, Enea Bastianini, Jorge Martin, Franco Morbidelli) zu hören, sondern auch von Fahrern auf dem Vorjahresmotorrad (Marc Marquez, Alex Marquez, Marco Bezzecchi, Fabio Di Giannantonio). Derartige Klagen gab es im Vorjahr über dasselbe Bike nicht. Es scheint also nicht so, als würde es sich um ein spezifisches GP24-Problem handeln.

Neues Concession-System der MotoGP erschwert Ducatis Lösungssuche

Lassen sich Ducatis Probleme also tatsächlich auf den neuen Reifenlieferanten der kleineren Klassen zurückführen, wartet auf die Ingenieure in Borgo Panigale eine knifflige Aufgabe. Sie müssen versuchen, ihre Maschinen an Gegebenheiten anpassen, mit denen man vor Saisonbeginn nicht gerechnet hatte. Doch Ducati ist durch das neue Concessions-Reglement in seinen Testmöglichkeiten massiv eingeschränkt, Wildcards sind sogar völlig verboten. Bagnaia & Co. müssen sich also größtenteils an den Rennwochenenden durch unterschiedlichste Änderungen am Motorrad ackern. Eine äußerst unangenehme Situation im stressigen Grand-Prix-Zeitplan der MotoGP.