Superbike-Weltmeister Jonathan Rea hinterließ bei den privaten Testfahrten auf dem Circuito de Jerez eine außerordentliche Duftmarke. Der Kawasaki-Pilot drehte nicht nur einen neuen Rundenrekord für WSBK-Bikes, sondern schaffte es dabei auch noch, die MotoGP-Pole-Zeit vom Mai, aufgestellt durch Valentino Rossi, zu unterbieten! Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Performance von Superbike-WM und MotoGP immer mehr angleichen. Motorsport-Magazin.com geht den Hintergründen dazu auf den Grund.

MotoGP vs. Superbike: Die Rundenzeiten im Vergleich

Erster Gradmesser für eine Analyse sind natürlich immer die Rundenzeiten. Für 2016 lassen sich diese auf den sieben Strecken vergleichen, die sowohl im MotoGP- als auch im Superbike-Kalender auftauchten: Phillip Island, Aragon, Assen, Sepang, Misano, Jerez und Katar. Hier ist die Superbike-WM in Sachen Pole-Rekord oft schon bis auf zwei Sekunden an die MotoGP-Rekordmarken herangerückt. Einzige Ausnahme bildet der Sepang International Circuit, wo man drei Sekunden hinterher hängt. Dort sind allerdings auch die Rundenzeiten am Längsten, was das Ganze wieder etwas relativiert.

In Jerez kommt die Superbike-WM besonders nah an die MotoGP-Zeiten heranFoto: Kawasaki

Rekordzeiten MotoGP vs. Superbike-WM:

Strecke Pole-Rekord MotoGP Pole-Rekord WSBK Lap-Rekord MotoGP Lap-Rekord WSBK
Phillip Island 1:27.899 1:30.020 1:28.108 1:30.949
Misano 1:31.868 1:34.037 1:32.979 1:34.720
Assen 1:32.627 1:34.357 1:33.617 1:35.889
Jerez 1:37.910 1:39.190 1:38.735 1:41.136
Aragon 1:46.635 1:49.374 1:48.120 1:50.421
Katar 1:53.927 1:56.356 1:54.927 1:56.974
Sepang 1:59.053 2:02.246 2:00.606 2:03.637

Was bei einem Blick auf die Bestmarken beider Serien auffällt: In Jerez ist die Superbike-WM in Sachen Pole-Rekord schon auf 1,2 Sekunden an die MotoGP herangerückt, beim Rundenrekord im Rennen beträgt der Abstand im geringsten Falle nur noch 1,7 Sekunden. Misano und Jerez gelten als kleinere und verwinkeltere Strecken im Rennkalender, was den Rückschluss zulässt: Die Superbike-WM fährt in den Kurven oft schon auf MotoGP-Niveau, die Königsklasse holt den Zeitunterschied vor allem auf den Geraden heraus.

MotoGP vs. WSBK: Die Leistung und die Top-Speeds im Vergleich

Die MotoGP-Bikes sind auf den Geraden unbezwingbar - Andrea Iannone fuhr in Mugello einen neuen Top-Speed-RekordFoto: Ducati

Diese These wird mit einem Blick auf die Top-Speed-Listen in der Saison 2016 untermauert. Die Superbike-WM verliert auf den Geraden regelmäßig 20 bis 30 Stundenkilometer auf die Königsklasse. Einzig in Jerez, einer der Strecken mit den kürzesten Geraden, beträgt die Top-Speed-Differenz weniger als 20 km/h (in diesem Fall 16,6 km/h). Auffällig in dieser Statistik: Ducati sicherte sich 2016 auf den genannten Strecken sämtliche Top-Speed-Bestwerte, während sich diese Ehre in der Superbike-WM gleich vier Marken teilen: Aprilia und BMW (beide galten 2016 als überlegen beim Top-Speed) sowie Kawasaki und Yamaha.

Top-Speeds 2016 MotoGP vs. Superbike-WM:

Strecke MotoGP WSBK
Katar 351,2 km/h (Iannone, Ducati) 321,4 km/h (Rea, Kawasaki)
Aragon 343,6 km/h (Dovizioso, Ducati) 319,5 km/h (De Angelis, Aprilia)
Phillip Island 340,5 km/h (Dovizioso, Ducati) 319,5 km/h (Torres, BMW)
Sepang 324,6 km/h (Iannone, Ducati) 302,9 km/h (Savadori, Aprilia)
Assen 317,1 km/h (Iannone, Ducati) 288,0 km/h (Lowes, Yamaha)
Misano 297,1 km/h (Dovizioso, Ducati) 274,1 km/h (De Angelis, Aprilia)
Jerez 295,7 km/h (Iannone, Ducati) 279,1 km/h (Rea, Kawasaki)

Die Elektronik der Superbikes ist mittlerweile ausgereifter als in der MotoGPFoto: Yamaha

Zurückführen lassen sich diese eklatanten Unterschiede auf die große Differenz in der Motorleistung zwischen MotoGP und Superbike-WM. Während die Ducati Desmosedici mittlerweile stolze 280 PS erreicht haben soll, verfügt ihr Superbike-Pendant, die Panigale R immerhin noch über kolportierte 230 Pferdchen. Kaum eine Rolle mehr spielt in dieser Hinsicht übrigens die Elektronik der Bikes. Seit die MotoGP zu Saisonbeginn 2016 auf die Einheitssoftware von Magneti Marelli umgestiegen ist, gilt die Elektronik der Superbikes ohnehin als ausgefeilter.

MotoGP vs. Superbike-WM: Der Blick auf die einzelnen Sektoren

Vergleicht man zusätzlich noch die Sektorzeiten der Pole-Rekorde miteinander, wird der oben genannte Befund weiter unterstrichen. Hier zeigt sich, dass die Superbikes besonders auf den Abschnitten verlieren, wo Höchstgeschwindkeit oder zumindest eine gute Beschleunigung (oder eine Kombination aus beidem) gefordert ist. Besonders auffällig ist das beispielsweise in Sektor zwei von Misano (Differenz: 0,7 Sekunden), in Sektor vier von Aragon (Differenz: 1,2 Sekunden), in Sektor vier von Katar (Differenz: 0,9 Sekunden) oder auch in Sektor vier von Sepang (Differenz: 1,3 Sekunden). In allen anderen Abschnitten sind die Superbikes den MotoGP-Raketen nahezu ebenbürtig.

In flüssigen Passagen sind die Superbikes der MotoGP ebenbürtigFoto: WSBK

MotoGP vs. Superbike-WM: Die Sektorzeiten der Pole-Rekorde

Strecke Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3 Sektor 4
Phillip Island 21.045 (MGP) / 21.566 (SBK) 25.658 (MGP) / 25.930 (SBK) 16.902 (MGP) / 17.141 (SBK) 24.294 (MGP) / 25.383 (SBK)
Misano 25.492 (MGP) / 25.947 (SBK) 20.640 (MGP) / 21.325 (SBK) 25.180 (MGP) / 25.682 (SBK) 20.556 (MGP) / 21.083 (SBK)
Assen 30.537 (MGP) / 31.352 (SBK) 13.756 (MGP) / 14.285 (SBK) 27.043 (MGP) / 27.366 (SBK) 21.291 (MGP) / 21.354 (SBK)
Jerez 24.494 (MGP) / 24.630 (SBK) 14.346 (MGP) / 14.478 (SBK) 29.224 (MGP) / 29.456 (SBK) 29.846 (MGP) / 30.626 (SBK)
Aragon 30.707 (MGP) / 31.106 (SBK) 30.133 (MGP) / 30.810 (SBK) 20.619 (MGP) / 21.125 (SBK) 25.176 (MGP) / 26.333 (SBK)
Katar 24.872 (MGP) / 25.324 (SBK) 29.496 (MGP) / 30.124 (SBK) 27.981 (MGP) / 28.481 (SBK) 31.578 (MGP) / 32.427 (SBK)
Sepang 24.670 (MGP) / 23.577 (SBK) 27.495 (MGP) / 29.648 (SBK) 37.078 (MGP) / 37.826 (SBK) 29.810 (MGP) / 31.195 (SBK)

Auch in schnellen und flüssigen Sektoren wie den letzten beiden Sektoren in Assen, Sektor drei in Katar oder Sektor eins in Aragon fehlt nicht viel, ebenso wenig wie beispielsweise im verwinkelten ersten Sektor in Jerez, wo der Unterschied gerade einmal 0,2 Sekunden beträgt. Kaum zu glauben, aber wahr: im ersten Sepang-Sektor schlägt Tom Sykes' Pole-Rekord sogar denjenigen von Dani Pedrosa! Dies untermauert noch einmal, dass die Superbikes in Sachen Kurvenspeed und Agilität mit den MotoGP-Motorrädern auf Augenhöhe agieren.

Fazit: MotoGP holt auf den Geraden die Zeit gegen Superbike-WM

Stefan Bradl fährt lieber Superbike-WM als Moto2Foto: Honda

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die MotoGP dank dem Plus an Motorleistung vor allem auf den Geraden und in den Beschleunigungszonen die Superbikes abhängen. In engen, kurvigen Abschnitten oder auf flüssigen und schnellen Passagen agieren beide Serien dagegen auf Augenhöhe. Klar, dass es ausrangierte MotoGP-Fahrer lieber in die seriennahe Weltmeisterschaft verschlägt, als den Schritt zurück in die Moto2 zu gehen. So erklärte auch Stefan Bradl in Valencia seinen Wechsel ins WSBK-Paddock exklusiv gegenüber Motorsport-Magazin.com wie folgt:

Warum Stefan Bradl lieber WSBK als Moto2 fährt

"Moto2 hat noch weniger mit MotoGP zu tun. Die Superbikes haben denselben Hubraum und geringe Unterschiede was die Leistung betrifft. Von den Rundenzeiten her sind sie nicht viel langsamer und du hast Power ähnlich wie in der MotoGP. In der Moto2 hast du ein anderes Motorrad, du hast keine Elektronik, außer den Pitlimiter, den du anschalten kannst. Wenn man das Rennen von Hayden in Australien sieht, da hat er sich supertoll verkauft. Natürlich hatte er auch ein gutes Team um sich rum, aber da war er schon flott unterwegs, von daher ist mir das lieber als Moto2."