Jamie Reigle steht nach rund vier Jahren vor dem Abschied als Geschäftsführer der Formel E. Der Kanadier, der diesen Posten im September 2019 von Seriengründer Alejandro Agag übernommen hatte, wird bereits ab dem 05. Juni 2023 durch Nachfolger Jeff Dodds abgelöst. Reigle wird bis zum Jahresende als Berater in dieser Übergangsphase tätig sein. Das hat die Formel E am Mittwochmittag offiziell bestätigt. Gründe für die Ablösung während der laufenden Saison wurden nicht genannt.

Laut einem Bericht von Autosport seien die Mitarbeiter am Dienstag dieser Woche über den Schritt informiert worden. Motorsport-Magazin.com hatte bereits am Wochenende aus dem Umfeld der Formel E von Reigles bevorstehenden Abschied gehört, der nun offenbar vollzogen worden ist. Die genauen Gründe waren zunächst nicht bekannt.

Der neue CEO Jeff Dodds arbeitete in den vergangenen zwei Jahren als COO des britischen Telekommunikations-Unternehmens Virgin Media O2, zuvor war er in leitenden Positionen für Virgin Media tätig. In der Vergangenheit verantwortete er unter anderem als Geschäftsführer von Tele2 aus den Niederlanden das Tagesgeschäft und bekleidete Führungspositionen bei Callaway Golf sowie Honda.

"Die Formel E ist eine einzigartige Plattform, die modernste Technologie mit dem nachhaltigsten Sport der Welt vereint und damit ein grenzenloses Potenzial für Innovation und positive Veränderungen bietet", wurde Dodds in einer Pressemitteilung zitiert. "Bei der Formel E gibt es ein erstklassiges Team, und ich bin begeistert, sie in das nächste Kapitel zu führen und die Zukunft des Motorsports zu gestalten sowie neu zu definieren, was möglich ist."

Neuer Formel-E-CEO ab Juni 2023: Jeff DoddsFoto: Formula E

Reigle: Formel E steht auf festem Fundament"

In einem internen Schreiben, aus dem Autosport zitiert, teilte Reigle dem Team der Formel E mit: "Als mir die Möglichkeit angeboten wurde, die Formel E zu leiten, sagte mir einer meiner Mentoren, dass mein Hauptziel darin bestehen sollte, das Unternehmen an einem besseren Ort zu hinterlassen als bei meinem Amtsantritt. Ein einfacher Rat, aber angesichts des Erfolgs, den die Formel E in den ersten fünf Saisons erzielt hatte, eine hohe Messlatte."

Und weiter: "Unsere Fans, Teams, Partner, Aktionäre, Vorstand und für mich am wichtigsten, Sie, unsere Mitarbeiter, werden letztendlich darüber entscheiden, wie ich mich geschlagen habe. Aber ich kann mit Zuversicht sagen, dass die Formel E jetzt auf festem Fundament steht und bereit ist, unsere enorme Chance zu nutzen. Das erfüllt mich mit enormem Stolz. Wenn ich auf die letzten vier Jahre zurückblicke, bin ich erstaunt darüber, was wir gemeinsam erreicht haben."

2019: Alejandro Agag verpflichtet Jamie Reigle als neuen Formel-E-CEOFoto: Formel E

Formel E: Corona-Krise, Hersteller-Ausstiege und Co.

Die Formel E habe sich laut Reigle zu einer fortschrittlichen Marke etabliert und seit trotz "beispielloser Herausforderungen" neu definiert worden. Genannte Herausforderungen gab es seit 2019, als die Formel E ihren zwischenzeitlichen Höhepunkt erreicht hatte, genügend: Die Corona-Krise machte der Elektro-Rennserie arg zu schaffen, mit Ach und Krach konnte die Saison 2020 durch das kuriose Berlin-Finale mit sechs Rennen in neun Tagen beendet werden, auch, um Sponsorenauflagen zu erfüllen. Auch der Rennkalender der Saison 2021 wurde durch die Pandemie beeinträchtigt.

Unter Reigles Amtszeit zogen sich zudem die deutschen Autobauer Audi und BMW (Ende 2021) sowie der zweifache Weltmeister Mercedes-Benz (Ende 2022) aus der Formel E zurück. Im Gegenzug gelang es der Formel E, mit McLaren und Maserati zwei prominente Neueinsteiger und mit Abt Sportsline einen bekannten Rückkehrer zu begrüßen.

Reigle war ebenso in die Einführung eines dringend benötigten Budgetdeckels mit dem Beginn der Saison 2023 involviert, nachdem die Kosten durch die ausgabefreudigen Hersteller durch die Decke zu schießen drohten. Ebenso in die Entwicklung eines neuen und erfolgreichen Qualifying-Formats als Antwort auf die verrückte Saison 2021, in der bis zum Finale noch 18 der 22 Fahrer Chancen auf den Titelgewinn hatten.

Jamie Reigle mit Mercedes-Motorsportchef Toto WolffFoto: LAT Images

Formel E: Gen3-Einführung wird zum Härtetest

Die Einführung des aktuellen Gen3-Autos sollte sich ebenfalls als eine große Herausforderung herausstellen. Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und weltweiten Lieferengpässen, gestaltete sich der Weg in die dritte Generation der Elektro-WM als äußerst schwierig. Wegen fehlender Teile und weiteren technischen Problemen war die Entwicklungszeit für das 350 kW (476 PS) starke Gen3-Auto sehr knapp bemessen.

Nach nur wenigen Testfahrten startete die Formel E mit größten Sorgen über die Zuverlässigkeit und den Vorrat an vorhandenen Ersatzteilen im Januar 2023 in Mexiko-City in ihre neunte Saison. Nach den ersten neun Saisonrennen mit neuen Austragungsorten wie Hyderabad, Kapstadt und Sao Paulo lässt sich festhalten, dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bestätigt haben, wie es Reigle schon während der Vorsaison-Testfahrten in Valencia Ende Dezember gegenüber Motorsport-Magazin.com formuliert hatte.

Wie es für Reigle nach dem Formel-E-Abenteuer weitergeht, ist öffentlich noch nicht bekannt. Der Manager, der in Interviews gerne ausführlich ausholte und eine Vorliebe für Vergleiche aus anderen Sportarten hegte, hatte es sich stets zum Ziel gesteckt, die Formel E hin zu einem sogenannten 'Tier-1-Sport' - also auf Augenhöhe mit den bekanntesten Sportarten der Welt - zu entwickeln. In seiner Vergangenheit war Reigle unter anderem für das NFL-Team der Los Angeles Rams als Vizepräsident für den Geschäftsbetrieb sowie zuvor als Marketing-Manager für den britischen Fußballverein Manchester United tätig gewesen.

Und was nur wenige wissen: Reigle spricht ein wenig deutsch: Opa aus Karlsruhe, Oma aus Köln und ein Deutschkurs auf einer Ski-Akademie in den USA lassen grüßen. "Um ein Bier zu bestellen, reicht es", gab uns Mister Reigle in einem von mehreren Exklusiv-Interviews damals zur besseren Einordnung mit auf den Weg.

Jamie Reigle in einem von mehreren Interviews mit MSM-Reporter Robert SeiwertFoto: Andreas Beil

Formel-E-Tabelle 2023 nach 9/16 Rennen

Platz Fahrer Team Punkte
1 Nick Cassidy Envision-Jaguar 121
2 Pascal Wehrlein Porsche 101
3 Jake Dennis Andretti-Porsche 96
4 Mitch Evans Jaguar 94
5 Jean-Eric Vergne DS Penske 87
6 Antonio Felix da Costa Porsche 68
7 Sam Bird Jaguar 62
8 Sebastien Buemi Envision-Jaguar 61
9 Jake Hughes McLaren-Nissan 45
10 Rene Rast McLaren-Nissan 40
11 Stoffel Vandoorne DS Penske 28
12 Maximilian Günther Maserati-DS 24
13 Andre Lotterer Andretti-Porsche 23
14 Sacha Fenestraz Nissan 19
15 Lucas di Grassi Mahindra 18
16 Dan Ticktum NIO 333 18
17 Norman Nato Nissan 11
18 Sergio Sette Camara NIO 333 10
19 Oliver Rowland Mahindra 9
20 Edoardo Mortara Maserati-DS 5
21 Robin Frijns Abt-Mahindra 3
22 Nico Müller Abt-Mahindra 2
23 Kelvin van der Linde Abt-Mahindra 0