Wie ein Honigkuchenpferd grinste Tim Tramnitz bis über beide Ohren nach seinem ersten Einsatz in einem Formel-E-Rennauto. Beim offiziellen Rookie-Test der Elektro-WM in Berlin konnte sich der 18-Jährige erstmals mit dem bis zu 350 kW (476 PS) starken Gen3-Auto vertraut machen. Für das Team Abt-Cupra, das einen Tag zuvor mit einer sensationellen Doppel-Pole und den ersten WM-Punkten vor heimischem Publikum für Schlagzeilen gesorgt hatte, drehte Tramnitz seine Runden auf dem 2,33 Kilometer langen Flugplatzkurs.

Langweilig wurde dem Formel-Nachwuchstalent aus Hamburg beim Test am Montag nach dem Double-Header nicht: Mit 93 zurückgelegten Runden erreichte Tramnitz annähernd das erlaubte Maximum von 100 Umläufen. "Noch einen Tag mehr zu fahren, wäre auf jeden Fall cool gewesen", machte Tramnitz im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com nach dem langen Tag einen hellwachen Eindruck. "Nach solch einem Test gibt es immer Dinge, die man gerne noch ausprobieren möchte."

Tramnitz trifft auf Kvyat, van der Linde und Co.

Der Förderpilot der ADAC Stiftung Sport ließ nicht nur - ganz wichtig - das Auto an einem Stück, sondern schlug sich durchaus beachtlich im hochdekorierten Starterfeld mit den früheren Formel-1-Fahrern Daniil Kvyat und Will Stevens, DTM-Champion Sheldon van der Linde, den Formel-Meistern Felipe Drugovich und Victor Martins oder seinem Landsmann David Beckmann.

Tramnitz ordnete sich auf dem zwölften Platz in der kombinierten Zeitenliste ein. Am Vormittag spulte er 49 Runden ab und fuhr eine 1:07.006, bevor das Team am Nachmittag bei weiteren 44 Runden in den stärkeren 350-kW-Modus wechselte. Mit voller Leistung konnte sich Tramnitz auf eine persönliche Bestzeit von 1:06.090 Minuten steigern und knöpfte seinem erfahrenen Abt-Test-Kollegen Adrien Tambay sogar knapp drei Zehntelsekunden ab.

Tim Tramnitz mit Abt-Teamkollege und Ex-DTM-Pilot Adrien TambayFoto: LAT Images

Tim Tramnitz nach Formel-E-Test: "Mega-Erfahrung!"

"Es war eine Mega-Erfahrung, das Formel-E-Auto zu fahren", sagte Tramnitz, der zweitjüngste aller 23 Fahrer beim Test in Berlin. "Am Anfang war es noch ein wenig ungewohnt, gerade ohne den Motorensound. Aber das ist eine Sache der Gewohnheit. Und es ist wie in jedem Rennauto: Man konzentriert sich so sehr aufs Fahren, dass man im Tunnel ist und sich nur auf die eigentliche Sache fokussiert. Es hat richtig viel Spaß gemacht!"

Es waren stressige Tage für einen der wenigen Formel-Nachwuchspiloten aus Deutschland: Tramnitz reiste am Sonntagabend direkt vom Saisonauftakt der Formula Regional European Championship in Imola nach Berlin, um einen Tag später in den Abt-Cupra zu klettern. In seiner Hauptserie hatte er zuvor eine Pole Position erzielt und mit Platz 6 die ersten Meisterschaftspunkte eingefahren.

Auf das bis dato unbekannte Formel-E-Abenteuer hatte sich Tramnitz mit einem Simulator-Tag bei Abt Sportsline in Kempten vorbereitet. "Und beim Test hatten wir die Daten von den Renntagen, die geholfen haben, um zu lernen." Für den Rennstall aus dem Allgäu konnte Tramnitz angesichts der strikten Testbeschränkungen weitere wertvolle Daten sammeln, um nach einem schwierigen Saisonstart beim Comeback in der Elektro-WM noch den Anschluss zu finden.

Erste Runden für Tim Tramnitz in einem Formel-E-RennwagenFoto: LAT Images

Michelberger-Lob: "Fehlerlos, konstant, schnell"

"Wir hatten für den Tag in Berlin ein umfangreiches Programm mit vielen Testpunkten, für die wir an einem normalen Rennwochenende nicht genug Zeit auf der Strecke haben", erklärte der erfahrene Abt-Renningenieur Markus Michelberger. "Tim ist den ganzen Tag fehlerlos, konstant und dazu noch schnell unterwegs gewesen."

Mit dem Steuern eines Single-Seaters ist Tramnitz, der 2021 die Vize-Meisterschaft in der deutschen und italienischen Formel 4 gewann, inzwischen vertraut. Das Formel-E-Auto mit Allwetter-Reifen von Hankook, überschaubar vorhandener Aerodynamik, fehlender Servolenkung und einem komplexen Brake-by-Wire-Bremssystem stellt vergleichsweise jedoch eine ganz eigene Herausforderung dar.

Tramnitz: "Die Lenkkräfte sind relativ vergleichbar mit der Formel 3. Da wird's uns auch nicht leicht gemacht. In der Formel E braucht es nur deutlich mehr Lenkwinkel, weil man auf den Stadtkursen viel engere Kurven fährt. An die Bremse musste ich mich erst gewöhnen. Auch an die Traktion, denn beim Gas geben ist die Leistung sofort da. Man muss sehr gefühlvoll mit dem Gas umgehen, um nicht die Traktion zu verlieren und einen guten Kurvenausgang zu schaffen. Das ist reine Gefühlssache und im Prinzip nicht anders als bei anderen Formel-Autos."

Tim Tramnitz zählt zu Deutschlands wenigen Formel-TalentenFoto: LAT Images

Tramnitz: Formel E ist interessant für Zukunft

Das Debüt in der Formel E hat offenbar Lust auf mehr gemacht. Aktuell liegt Tramnitz' Fokus auf der Formula Regional European Championship, doch einer Zukunft in der Elektro-Rennserie wäre der Norddeutsche nicht abgeneigt. "In der Formula Regional verfolge ich das Ziel, dieses Jahr den Titel zu gewinnen", sagte er. "Es ist aber genauso wichtig, Ausschau danach zu halten, wo es in Zukunft hingehen könnte. Die Formel E ist eine große Serie und damit interessant für mich. Vielen Dank an Abt und die ADAC Stiftung Sport, die mir diese Erfahrung ermöglicht haben."

Die ADAC Stiftung Sport engagiert sich seit 25 Jahren für den deutschen Motorsport-Nachwuchs und hat Formel-1-Fahrer wie Sebastian Vettel oder Nico Hülkenberg in deren Anfangsjahren gefördert. Zuletzt herrschte jedoch Ebbe. Mit Tramnitz soll ein weiterer hoffnungsvoller Fahrer im immer rarer gesäten Formelbereich das nötige Rüstzeug an die Hand bekommen.

"Tim zählt zu den besonders förderungswürdigen deutschen Talenten im internationalen Formelsport und der Testtag in Berlin war für ihn eine hervorragende Gelegenheit, um sich, unterstützt durch ein professionelles Team, mit den hohen Anforderungen der Formel E vertraut zu machen und dabei so viel wie möglich zu lernen. Seine Rundenzeiten haben sein außerordentliches Potenzial unter Beweis gestellt", lobte Wolfgang Dürheimer, Vorstandsvorsitzender der ADAC Stiftung Sport.

Formel-E-Rookietest Berlin: Kombiniertes Ergebnis

Pos. Fahrer Team Zeit
1 Felipe Drugovich Maserati 1:05.509
2 Victor Martins Nissan 1:05.610
3 Zane Maloney Andretti 1:05.619
4 Luca Ghiotti Nissan 1:05.780
5 Sheldon van der Linde Jaguar 1:05.814
6 Jehan Daruvala Mahindra 1:05.922
7 Robert Shwartzman DS Penske 1:05.923
8 Luke Browning McLaren 1:05.944
9 David Beckmann Porsche 1:05.996
10 Daniil Kvyat NIO 333 1:06.012
11 Yifei Ye Porsche 1:06.053
12 Tim Tramnitz Abt-Cupra 1:06.090
13 Mikel Azcona NIO 333 1:06.155
14 Will Stevens DS Penske 1:06.175
15 Linus Lundqvist Andretti 1:06.245
16 Hugh Barter Maserati 1:06.310
17 Adrien Tambay Abt-Cupra 1:06.352
18 Roberto Merhi Mahindra 1:06.386
19 Charlie Eastwood McLaren 1:06.454
20 Jordan King Mahindra 1:06.525
21 Jack Aitken Envision 1:06.878
22 Simon Evans Jaguar 1:07.147
23 Jonny Edgar Envision 1:07.172