Das hat es in der Geschichte der Formel E noch nie gegeben: Mit Pascal Wehrlein reist erstmals ein deutscher Fahrer als Meisterschaftsführender zum Heimspiel in Berlin. Vor dem Rennwochenende in der deutschen Hauptstadt mit zwei Rennen (22./23. April) führt auch Wehrleins Team Porsche die WM-Tabelle an - Porsche-Power dominierte die erste Saisonhälfte 2023 und darf sich auch auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof gute Chancen auf weitere Siege oder Podiumsplätze ausrechnen.

Seit dem werksseitigen Einstieg 2019/20 erlebt der Sportwagenbauer aus Zuffenhausen bislang seine mit Abstand stärkste Saison in der Elektro-Rennserie. Porsche hatte sich frühzeitig zum aktuellen Gen3-Zyklus bekannt, während die weiteren deutschen Hersteller Audi, BMW und Mercedes-Benz aus mehr oder eher weniger verständlichen Gründen den Stecker zogen.

Porsche zählt mit seiner glanzvollen Motorsport-Historie zu den wichtigsten Herstellern in der Formel E - aber wie lange noch? Fakt ist: Die Vereinbarung umfasst aktuell nur die ersten beiden Saisons des vierjährigen Gen3-Zyklus, also bis einschließlich zum Ende der kommenden Saison 2024. Unklar, wie es darüber hinaus weitergeht.

Laudenbach: Entscheidung sollte noch dieses Jahr sein

Ewig kann sich Porsche nicht mehr Zeit lassen mit der Entscheidung, schließlich könnte es für die Saisons 2025 und 2026 ein technisches Upgrade für das aktuelle Gen3-Auto geben. Und ein 'Gen3 Evo' muss von den Herstellern mit einem gewissen Vorlauf entwickelt werden.

"Wir sind für die laufende und die nächste Saison committet", sagte Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach bei einem Motorsport-Event im Rahmen des Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart zu Motorsport-Magazin.com. "Eventuell gibt es nach zwei Jahren ein Upgrade und die Entscheidung muss getroffen werden, bevor das losgeht. Sonst gerät man ins Hintertreffen und fängt mit einem Nachteil an. Ich würde sagen, das (die Zukunftsentscheidung) müsste noch dieses Jahr sein. Am Ende des Tages entscheidet das unser Vorstand. Wir tauschen uns regelmäßig auch dazu aus."

Wie geht es mit Porsche in der Formel E nach 2024 weiter?Foto: Germain HAZARD / Royal Spark

Porsche: "Formel 1 bleibt für uns interessante Rennserie"

Ein lange Zeit geplanter Einstieg in die Formel 1 zur Saison 2026 hätte höchstwahrscheinlich das Werks-Aus in der Formel E bedeutet. Allerdings liegen Porsches F1-Ambitionen nach dem nicht zustande gekommenen Deal mit Red Bull derzeit auf Eis. Eine offizielle Absage gab es jedoch nicht. Ohne ein Formel-1-Engagement könnten die Chancen auf eine Fortsetzung in der Formel E deutlich steigen.

Nach dem Ende der offiziellen Einschreibefrist im Oktober 2022 für die Formel-1-Saison 2026 hatte die FIA signalisiert, dass die Tür für Porsche auch weiterhin offensteht. Lutz Meschke, Mitglied des Vorstandes, Finanzen und IT der Porsche AG, betonte in diesem Zusammenhang: "Die Formel 1 bleibt für uns eine interessante Rennserie. Daher schauen wir, ob es noch andere gangbare Wege gibt. Wir lassen uns zu keiner Entscheidung drängen, von der wir nicht überzeugt sind."

Und ein sportlicher Erfolg könnte den Vorstand um CEO Oliver Blume noch ein Stück weit mehr überzeugen, längerfristig in der Elektro-Weltmeisterschaft zu bleiben. Mit Wehrlein und seinem ebenfalls bereits siegreichen Teamkollegen Antonio Felix da Costa stehen die Chancen aktuell alles andere als schlecht, wenngleich vor allem das Jaguar-Werksteam nach dem jüngsten Dreifach-Sieg in Sao Paulo stärker ist als es die bisherigen Ergebnisse zeigten.

Laudenbach: "Man kann nicht sagen, dass man weitermacht, wenn man erfolgreich ist, oder nicht weitermacht, wenn man nicht erfolgreich ist. Das wäre viel zu einfach. Dazu gehören Fragen wie: Wie entwickelt sich die Vermarktung? Wie passt das zu unseren Botschaften? Natürlich hat auch der sportliche Erfolg einen Einfluss. Man kann aber nicht sagen, dass das der bestimmende Faktor ist."

Laudenbach: "Wir sind nicht da, um das Feld aufzufüllen"

Unabhängig von der Entscheidung über die Zukunft, will Porsche dieses Jahr in der Formel E endlich den WM-Titel einfahren. Den Ingenieuren am Motorsportstandort Weissach ist es gelungen, ein in allen Bereichen starkes Paket zu entwickeln. Davon profitiert auch das neue Kundenteam Andretti: Der US-Rennstall und frühere BMW-Partner belegt mit den Fahrern Jake Dennis und Andre Lotterer in der Teammeisterschaft aktuell den dritten Gesamtplatz.

"Natürlich ist der Druck hoch", sagte Laudenbach offen und ehrlich. "Wir sind nicht da, um das Feld aufzufüllen. Wenn wir irgendwo antreten, dann, um gewinnen zu wollen. Wir hatten in den ersten drei Saisons einige Highlights, konnten in Summe unsere Erwartungen aber nicht erfüllen. Es gibt eine klare Erwartungshaltung, auch vom Vorstand. Bei uns gehört der Motorsport zum Unternehmen, trotzdem haben wir den Anspruch, zu gewinnen. Der Druck ist hoch, aber das ist auch gut so. Wenn man so einen Namen hat wie wir, dann muss man dem sich auch stellen."

Porsche war das stärkste Team in der ersten SaisonhälfteFoto: Porsche AG

Wehrlein: "Größten Druck mache ich mir selbst"

Wehrlein fuhr beim Saisonauftakt in Mexiko-City auf den zweiten Platz, gewann die beiden anschließenden Rennen in Saudi-Arabien und punktete in fünf der bisherigen sechs ePrix. Teamkollege Felix da Costa rappelte sich nach einem schwierigen Saisonstart auf und meldete sich mit dem Sieg in Kapstadt sowie einem weiteren Podest in Hyderabad eindrucksvoll zurück. Nur beim letzten Formel-E-Rennen in Sao Paulo stand erstmals kein Porsche-Fahrer auf dem Podium. Wehrlein führt die Gesamtwertung mit 86 Punkten vor Jake Dennis (62 Punkte, Andretti-Porsche) an, Felix da Costa ist Gesamt-Fünfter mit 58 Zählern.

"Den größten Druck und Ansporn mache ich mir selbst", sagte Wehrlein zu Motorsport-Magazin.com. "Ich möchte gewinnen. Es ist eine Erleichterung, dass ich dieses Jahr ein Paket habe, mit dem ich - Stand jetzt - um den Titel kämpfen und meine Ziele erfüllen kann, wenn alles gut verläuft. Ich mache alles, was in meiner Macht steht, um sicherzugehen, dass ich bestmöglich performe, das Maximale heraushole und am Ende den Titel gewinne."

Wehrlein: "Formel-E-Titel wäre der schönste meiner Karriere"

Wehrlein rührte die Werbetrommel ordentlich vor dem Beginn des Berlin-Wochenendes mit einem Besuch im reichweitenstarken Sat.1-Frühstücksfernsehen. Zwischen der Sendung nahm sich der frühere DTM-Champion und Formel-1-Fahrer Zeit für eine virtuelle Medienrunde mit Journalisten.

Wehrlein: "Es wäre definitiv der schönste Titel in meiner Karriere. Natürlich ist der DTM-Titel schön, aber die Formel-E-Weltmeisterschaft wäre es noch eine Nummer größer. Auch für mich persönlich würde es viel bedeuten, nach einer längeren Zeit wieder einmal einen Titel zu gewinnen. Der DTM-Titel 2015 ist schon ein paar Jahre her. Solche Dinge weiß ich heute viel mehr zu schätzen, da ich weiß, wie viel Arbeit und Fleiß drinstecken. Sagen wir es so: Ich würde diesen Titel mehr genießen."

Formel E: Tabelle 2023

Pos. Fahrer Team Punkte
1 Pascal Wehrlein Porsche 86
2 Jake Dennis Andretti 62
3 Nick Cassidy Envision 61
4 Jean-Eric Vergne DS Penske 60
5 Antonio Felix da Costa Porsche 58
6 Sam Bird Jaguar 44
7 Sebastien Buemi Envision 42
8 Rene Rast McLaren 40
9 Mitch Evans Jaguar 39
10 Jake Hughes McLaren 32
11 Stoffel Vandoorne DS Penske 22
12 Lucas di Grassi Mahindra 18
13 Andre Lotterer Andretti 18
14 Norman Nato Nissan 11
15 Sergio Sette Camara NIO 333 10
16 Dan Ticktum NIO 333 9
17 Oliver Rowland Mahindra 8
18 Sacha Fenestraz Nissan 7
19 Edoardo Mortara Maserati 3
20 Maximilian Günther Maserati 0
21 Nico Müller Abt-Cupra 0
22 Robin Frijns Abt-Cupra 0
23 Kelvin van der Linde (Ersatz) Abt-Cupra 0