"Endemisch", das bedeutet laut Duden: 'örtlich begrenzt auftretend' (Medizin), oder auch 'in einem begrenzten Gebiet verbreitet' (Biologie). Warum ich euch, liebe Leser, ein Wort um die Ohren haue, das ich selbst noch einmal nachschlagen musste? Weil es tatsächlich den Grund für den Ausstieg von Mercedes-Benz aus der Formel E nach der Saison 2022 beinhaltet.

Neben dem üblichen PR-Geschwafel, das wir schon von den Werksaustiegen von Audi und BMW kennen, tauchte dieses kleine Wort in der Pressemitteilung zum Abschied des Autobauers aus Stuttgart auf. Zitiert aus dem Mund von Bettina Fetzer, der mächtigen Marketingchefin der Mercedes-Benz AG.

"Die Formel E hat uns in den vergangenen beiden Jahren die Möglichkeit gegeben, die Marke Mercedes-EQ in einem hochgradig endemischen und wirklich innovativen Format zu präsentieren", hieß es am 18. August 2021, 260 Tage nach dem angekündigten Ausstieg von Audi sowie 258 Tage, nachdem BMW den Stecker gezogen hat.

"Hochgradig endemisch", also innerhalb eines stark begrenzten Gebiets, namentlich der Formel E. Auf weitere Erklärungen verzichtete Frau Fetzer in ihrem wohlgewählten Zitat. Meinte sie die stark begrenzte Reichweite der Formel E, die auch nach sieben Jahren und zuletzt zehn involvierten Herstellern einen schweren Stand vor allem bei Motorsport-Fans hat? Die TV-Zahlen in Deutschland in den vergangenen Jahren waren ein Witz, erst mit DTM-Partner Sat.1 wurde es besser.

Vor Zeiten der Pandemie konnte sich die Formel E entlang der temporären Rennstrecken zwar nicht über einen ordentlichen Zuschauerzuspruch beklagen. Viele Besucher rund um den Globus betrachteten die Rennwochenenden allerdings als einmalige Spaß-Veranstaltung und die Verantwortlichen der Elektro-Rennserie schafften es nur selten, daraus nachhaltige Fans zu generieren.

Die Kommunikation bleibt bis heute eine riesengroße Baustelle. In einer Rennserie, in der die Marketingabteilungen mindestens so viel Mitspracherecht haben wie die Rennteams, hätte mehr kommen müssen. Dass die Formel E zeitweise den sportlichen und technologischen Aspekt völlig aus den Augen verlor und mit der PR-Brechstange sämtliche zeitgeistigen Themen beackern wollte, war ebenfalls wenig nachhaltig.

Vielleicht meinte Frau Fetzer auch die stark begrenzten Möglichkeiten der technologischen Weiterentwicklung. Wenn die Hersteller der Formel E prahlten, dass ihre Antriebsstränge einen Wirkungsgrad von 97 Prozent erreicht haben, klang das nicht selten wie eine latente Drohung und indirekte Forderung, den hochbezahlten Ingenieuren einen größeren Spielraum im Reglement zu gewähren. Eine Rennserie, in denen Kundenteams den Großen auf der Nase rumtanzen können und vor dem letzten Rennen ganze 14 (!) Fahrer WM-Titelchancen hatten, kommt bei Vorständen selten gut an.

Genau hier liegt die Crux der Formel E: Ambitionierte und ausgabefreudige Hersteller auf der einen, um eine Kostenexplosion besorgte Serienchefs auf der anderen Seite. Seit dem Werkseinstieg von Audi 2017 war Gründer Alejandro Agag darauf bedacht, privaten Teams eine finanzierbare Plattform zu ermöglichen. Sie können zu einem fairen Fixpreis die Motoren eines jeden Autobauers erwerben. Handelte Agag schon damals in dem Wissen, dass Hersteller bekanntermaßen Fluch und Segen des Motorsports sind und sowieso irgendwann aussteigen, wenn die Vorstände plötzlich andere Ziele verfolgen?

Mercedes steigt aus! Ist die Formel E am Ende? Folgen für F1?: (01:30:00)

Ist die Formel E mit dem Hersteller-Boom zu schnell gewachsen - oder gar zu langsam, um den hohen Ansprüchen der Werke gerecht zu werden? Das BMW-Argument des ausgeschöpften Technologietransfers verwurstelte Mercedes-Benz als eine "Umverteilung der Ressourcen zugunsten des schnelleren Hochfahrens der Elektrifizierung". Ob die Summe von mutmaßlich 30 Millionen Euro, die die Marke mit dem Stern bisher jährlich in der Formel E investieren musste und die ab 2022 per Budget-Deckel auf etwa 20 Millionen sinkt, das beschriebene "Hochfahren" wirklich beschleunigt, darf bezweifelt werden.

Fakt ist: Die Formel E muss mit Ausnahme von Porsche ohne die Deutschen auskommen und sich zusammen mit mindestens fünf verbliebenen Herstellern (neben Porsche auch Nissan, Jaguar, DS, Mahindra) ab 2023 in vielen Bereichen neu aufstellen. Der dreifache D-Rückschlag war mehr als nur ein Warnschuss.