Es ist jedes Jahr dasselbe Spiel, jedes Jahr die gleiche Präambel an dieser Stelle: Gebetsmühlenartig versichern alle Beteiligten, dass die Testfahrten der Formel 1 überhaupt rein gar nichts aussagen. Und doch will jeder nach den drei Testtagen in Bahrain wissen, wie das Kräfteverhältnis vor dem Start der Formel-1-Saison 2024 aussieht.

Motorsport-Magazin.com versucht sich deshalb wie jedes Jahr an der Quadratur des Kreises, an der Test-Analyse. Wie immer liefert Johann Wolfgang von Goethe das Fazit schon vorab, damit es am Ende keine Beschwerden gibt: Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.

Die Testfahrten 2024 waren etwas anders als sonst. Weil Pirelli die völlig identischen Reifen wie im Vorjahr liefert, gab es über die Pneus praktisch nichts mehr zu lernen. Dazu sind die meisten Autos Evolutionen ihrer Vorgänger. Also ging es für die Teams hauptsächlich darum, die Schwachstellen des Vorjahres auszumerzen.

Daran, dass es selbst beim Test kaum mehr technische Defekte gibt, hat man sich inzwischen gewöhnt. Die sogenannten VTTs, die Virtual Test Ttracks, decken Schwachstellen schon auf, bevor die Autos auf die Strecke kommen. Auf den VTTs werden die Autos komplett zusammengebaut getestet, nur die Aero-Teile dürfen nicht angebracht werden. Die einzigen Unterbrechungen der drei Testtage gab es deshalb durch defekte Kanaldeckel.

Das bedeutet aber nicht, dass es überhaupt keine Kinderkrankheiten an den Boliden gab. Vor allem Williams und McLaren hatten mit kleineren Problemchen zu kämpfen. Trotzdem kam selbst Williams noch auf 299 Runden, also über fünf Renndistanzen - an drei Tagen. Haas, sonst bekannt für kleinere technische Gebrechen beim Test, spulte sogar die meisten Runden ab. Das lag daran, dass die Mannschaft von Ayao Komatsu fast ausschließlich Longruns fuhr.

Alle dokumentierten Defekte beim Test

Team am Steuer Wann? Wo? Was?
Williams Albon MI, 11:39 Uhr T1 Benzinpumpe
Williams Sargeant MI, 15:38 Uhr T8 Antriebswelle
Aston Martin Stroll MI, 16:45 Uhr vor T1 linker Spiegel gelöst
Red Bull Perez DO, 08:06 Uhr Boxengasse Bremsfeuer rechts vorne
Williams Sargeant DO, 09:40 Uhr - Brake-by-Wire
Red Bull Perez DO, 14:20 Uhr Boxenausfahrt langsame Fahrt zurück in die Box
McLaren Norris DO, 10:30 Uhr - Kupplung
McLaren Norris DO, Nachmittag - Benzinsystem
Alpine Gasly DO, 16:29 Uhr vor T1 rechter Luftdeflektor zerbrochen

Alle gefahrenen Test-Runden in Bahrain

P. Team MI DO FR Gesamt
1 Haas 148 124 169 441
2 Ferrari 133 138 145 416
3 Red Bull 143 129 119 391
4 Aston Martin 131 127 121 379
5 Sauber 131 135 113 379
6 Racing Bulls 116 128 123 367
7 Mercedes 122 123 116 361
8 Alpine 121 111 102 334
9 McLaren 130 87 111 328
10 Williams 61 117 121 299

Zuverlässig sind sie also alle, aber wie sieht es mit der Performance aus? Dabei gibt es wie immer zwei Disziplinen: Renn- und Qualifying-Simulationen. Fragezeichen gibt es in beiden Wertungen, auf eine Runde aber noch mehr als auf die Renndistanz.

Motormodus, Benzinladung, Risikobereitschaft und natürlich auch der Zeitpunkt, zu dem gefahren wird. Am Abend nach Sonnenuntergang ist die Strecke deutlich schneller als nachmittags.

Die Nacht bringt in Bahrain Vorteile und RundenzeitFoto: LAT Images

Dazu gibt es unterschiedliche Reifenmischungen. Beim Test dürfen die Teams ihre Reifensets selbst zusammenstellen, von C1 bis C5 kam dabei alles zum Einsatz. Am Rennwochenende in Bahrain werden nur die drei härtesten Mischungen C1 bis C3 eingesetzt. Weil im Qualifying der C3 zum Einsatz kommt, werden alle Rundenzeiten hier in der Analyse auf den C3 korrigiert.

Dabei helfen die Delta-Zeiten. Zwischen C1 und C2 liegen laut Pirelli 0,3 bis 0,4 Sekunden, der Sprung zwischen C2 und C3 ist mit 1,0 bis 1,2 Sekunden besonders groß. Zwischen C3 und C4 liegen im Schnitt etwa 0,6 bis 0,7 Sekunden, der Unterschied zwischen C4 und C5 war irrelevant. Der weichste Reifen kam auch kaum zum Einsatz.

Schnellste Runden im Test korrigiert auf C3-Reifen

POS Fahrer Team Zeit Reifen Tag Korr. Zeit Rückstand
1 Sainz Ferrari 1:29,921 C4 2 1:30,571
2 Perez Red Bull 1:30,679 C3 2 1:30,679 0,108
3 Verstappen Red Bull 1:30,755 C3 3 1:30,755 0,184
4 Russell Mercedes 1:30,870 C3 3 1:30,870 0,299
5 Leclerc Ferrari 1:30,322 C4 3 1:30,972 0,401
6 Piastri McLaren 1:31,030 C3 3 1:31,030 0,459
7 Hamilton Mercedes 1:31,066 C3 2 1:31,066 0,495
8 Alonso Aston Martin 1:31,159 C3 3 1:31,159 0,588
9 Norris McLaren 1:31,256 C3 2 1:31,256 0,685
10 Zhou Sauber 1:30,647 C4 3 1:31,297 0,726
11 Tsunoda Racing Bulls 1:30,775 C4 3 1:31,425 0,854
12 Albon Williams 1:30,984 C4 3 1:31,634 1,063
13 Hülkenberg Haas 1:31,686 C3 3 1:31,686 1,115
14 Ricciardo Racing Bulls 1:31,361 C4 2 1:32,011 1,440
15 Stroll Aston Martin 1:32,029 C3 2 1:32,029 1,458
16 Ocon Alpine 1:32,061 C3 2 1:32,061 1,490
17 Gasly Alpine 1:32,149 C3 3 1:32,149 1,578
18 Bottas Sauber 1:32,227 C3 2 1:32,227 1,656
19 Sargeant Williams 1:32,578 C3 2 1:32,578 2,007
20 Magnussen Haas 1:33,053 C3 3 1:33,053 2,482

Korrektur-Faktoren der Reifenmischungen:

  • Delta C1/C2: 0,35 Sekunden
  • Delta C2/C3: 1,10 Sekunden
  • Delta C3/C4: 0,65 Sekunden

Die absolute Testbestzeit von Carlos Sainz bleibt auch mit Reifen-Korrekturfaktor die Bestzeit. Der Ferrari-Pilot war dabei eine Zehntelsekunde schneller als Sergio Perez. Max Verstappen musste sich eine Zehntelsekunde dahinter auf Rang drei einreihen. Allerdings fuhr der Weltmeister seine schnellste Runde am letzten Tag. Am Vortag schienen zumindest am Nachmittag und Abend leicht bessere Bedingungen zu herrschen.

Mit Red Bull, Ferrari, Mercedes, McLaren und Aston Martin gibt es nur wenig Überraschungen in den Top-10. Nur Zhou Guanyu schaffte es im Sauber noch in den elitären Kreis. Der Chinese fuhr am Ende des Tests noch auf C4-Reifen spät am Abend eine Qualifying-Simulation.

Nico Hülkenberg kam im Haas auf Rang 13. Allerdings arbeitete das Team nicht am Setup auf eine Runde. Deshalb war die Balance nicht perfekt. Negativ überraschte Alpine: Esteban Ocon landete nur auf Rang 16, Pierre Gasly dahinter auf P17.

Verstappen versteckt sich vor dem Renn-Vergleich

Bei den Rennsimulationen gibt es eine Variable weniger: Die Benzinladung. In Bahrain fahren alle mit vollen Tanks los, der Verbrauch gilt hier als besonders hoch. Leider gab es in diesem Jahr wieder nur wenige relevante Rennsimulationen. Max Verstappen fuhr zwar Renn-ähnliche Longruns, allerdings verschwand der Weltmeister zwischen den Stints länger in der Garage. Gleiches gilt für Fernando Alonso.

Deshalb ist es sinnlos, Verstappen und Alonso mit in die Wertung zu nehmen. Bei beiden wurde in der Garage wohl auch aufgetankt. Das zeigen auch die einzelnen Stint-Zeiten, die sich zwar verbessern, aber nicht so stark, wie es mit leichterem Auto eigentlich der Fall sein müsste.

Die Perez-Runden bei Tageslicht kosteten ZeitFoto: LAT Images

Mercedes, Alpine und Aston Martin verzichteten komplett auf Rennsimulationen. Bei den übrigen gibt es große Unterschiede bei der Fahrzeit. Sergio Perez fuhr seine Rennsim bei Tageslicht. Klar, dass dabei die Reifen deutlich stärker leiden.

Die beiden Ferrari-Piloten fuhren bei idealen Bedingungen. Klar, dass sie die Wertung anführen. Gut für die Scuderia: Im Vergleich zum Vorjahr ist eine deutliche Verbesserung zu sehen. Das gilt übrigens auch für Haas. Hier hilft möglicherweise die neue Hinterradaufhängung, die Ferrari und Haas bekommen haben.

Einige Rennsimulationen konnten nicht zu Ende gebracht werden, weil die Sessions mit VSC-Tests frühzeitig beendet wurden. Leclerc verlor dadurch elf Runden im Schlussstint. Weil der Schlussstint mit leeren Tanks am schnellsten ist, wäre seine Rennsimulation insgesamt wohl noch schneller gewesen.

Fahrer Zeit Reifen Stint 1 Stint 2 Stint 3 Gesamt Anmerkung
Leclerc Tag 3 - Nachmittag spät C3 - C1 (L20) - C2 (L39) 1:37,882 1:36,394 1:34,983 1:36,841 - 11 Runden
Sainz Tag 2 - Nachmittag spät C3 - C2 (L17) - C1 (L37) 1:38,199 1:37,306 1:35,420 1:36,875
Albon Tag 3 - Nachmittag früh C3 - C1 (L17) - C3 (L37) 1:38,476 1:37,550 1:36,306 1:37,427 -3 Runden
Piastri Tag 3 - Nachmittag spät C3 - C1 (L16) - C2 (L39) 1:38,586 1:37,549 1:35,905 1:37,438 -4 Runden
Hülkenberg Tag 3 - Nachmittag spät C3 - C1 (L14) - C1 (L39) 1:38,877 1:38,023 1:36,377 1:37,682
Bottas Tag 2 - Nachmittag spät C3 - C2 (L17) - C1 (L36) 1:38,934 1:37,987 1:36,508 1:37,691
Perez Tag 2 - Nachmittag früh C3 - C2 (L15) - C1 (L35) 1:38,649 1:38,458 1:37,129 1:37,969
Sargeant Tag 2 - Nachmittag spät C3 - C3 (L18) - C1 (L36) 1:39,145 1:37,997 1:37,124 1:38,014
Zhou Tag 3 - Nachmittag früh C1 - C2 (L21) - C3 (L40) 1:39,545 1:38,175 1:36,601 1:38,191
Ricciardo Tag 3 Vormittag C3 - C1 (L14) - C1 (L34) 1:39,364 1:38,872 1:38,080 1:38,650
Magnussen Tag 3 Vormittag C2 - C1 (L15) - C3 (L38) 1:39,849 1:39,224 1:38,442 1:39,109

Weil aber entscheidende Fahrer und Teams auf Rennsimulationen verzichteten, ergibt sich kein klares Bild. Nur die deutlichen Verbesserungen bei Ferrari und Haas sind offensichtlich. Bei beiden hatte sich letztes Jahr schon beim Test abgezeichnet, dass es größere Probleme geben würde.

Die erste Formel-1-Rangliste 2024

Nach dem ersten Testtag war das Fahrerlager in Schockstarre. Max Verstappen fuhr ununterbrochen, und er fuhr ununterbrochen schnell. Der Weltmeister ist auch 2024 wieder der große Favorit, aber ganz so dramatisch wie es am ersten Tag den Anschein machte, ist es nicht. Und erneut scheint es Verstappen, nicht Red Bull zu sein, der die Überlegenheit ausmacht.

Hinter dem Niederländer geht es unfassbar eng zu. In der Motorsport-Magazin.com-Test-Hitliste holt sich Ferrari Platz zwei vor Mercedes. Realistisch gesehen reiht sich erst hier dann der zweite Red Bull von Sergio Perez ein, wenn man die beiden den Daten nach trennen möchte. Dahinter kämpfen Aston Martin und McLaren.

Dahinter wird es erneut extrem eng. Am Ende macht hier nicht das Auto den Unterschied, sondern der Fahrer. Das gilt wohl vor allem auch für Alexander Albon. Der hält den Williams auf dem sechsten Platz. Mit Logan Sargeant allein wäre man Letzter.

POS Team
1 Red Bull
2 Ferrari
3 Mercedes
4 Aston Martin
5 McLaren
6 Williams
7 Sauber
8 Racing Bulls
9 Haas
10 Alpine