Ferrari, Italien, Monza, das passt. Das muss passen. Da freut es den Fan, wenn die Scuderia am Freitag nach zwei Trainings beim Heim-Grand-Prix mit der Tagesbestzeit ins Bett geht. Carlos Sainz und Charles Leclerc schüren aber nicht nur mit einem einzigen Ausrufezeichen Hoffnung. Max Verstappen und Red Bull müssen bis zum Qualifying noch einiges aussortieren, erklärt die Trainings-Analyse. (Formel 1 live aus Monza: News von heute im Ticker)

Das zweite Freie Training von Monza braucht auch eine Analyse, denn es ist nicht einfach zu lesen. Weder auf eine Runde noch im Longrun. Auf eine Runde ist das Problem der Windschatten. Hier, auf dem schnellsten Kurs des F1-Kalenders, ist der entscheidend. "Zwei bis drei Zehntelsekunden", beziffert Red-Bull-Motorsportchef Dr. Helmut Marko das Potenzial auf eine Runde.

"Die Chancen, das zu nutzen, liegen aber vielleicht bei 20 bis 30 Prozent", schränkt Marko ein. "Und es geht zu 70 bis 80 Prozent daneben." Sich im genau richtigen Abstand hinter einem anderen Auto zu positionieren, damit man auf den Geraden Vorteil daraus zieht, aber nicht in den Kurven den Nachteil der verwirbelten Luft hat, ist schwer.

Genauso macht das Herumwarten auf einen Windschattenspender Probleme, verursacht Stau. Berühmt das Qualifying 2019, als es am Ende von Q3 keiner mehr für einen echten letzten Versuch über die Linie schaffte. Auch am Freitag vor der 2023er-Ausgabe wurde in den Qualifying-Simulationen wieder herumgepfuscht. In der folgenden Tabelle ist das so gut es geht aufgeschlüsselt.

P. Fahrer Zeit Windschatten? Speed vor T4 Speed vor T8 Speed Ziellinie
1 Carlos Sainz 1:21.355 sehr klein (ZHO/LAW) 322,5 335,8 313,8
2 Lando Norris 1:21.374 groß (GAS) 318,5 329,9 310,3
3 Sergio Pérez 1:21.540 sehr klein (VER Gegengerade) 319,2 331,4 308,2
4 Oscar Piastri 1:21.545 groß (HUL) 317,3 332,1 308,7
5 Max Verstappen 1:21.631 sehr klein (PER Zielgerade) 321,5 328,2 307,8
6 Charles Leclerc 1:21.716 nein 321,5 331 309
7 Alexander Albon 1:21.979 ja (ALO) 325,3 338,4 314,2
8 Fernando Alonso 1:22.071 ja (NOR) 318,8 331,1 307,8
9 George Russell 1:22.176 nein 319,8 328,2 306,9
10 Nico Hülkenberg 1:22.291 klein (ALB) 318,9 332,1 299,8
11 Kevin Magnussen 1:22.574 klein (LEC) 317,8 325,5 304,6
12 Valtteri Bottas 1:22.595 nein 325 334,4 312,1

Ferrari in Monza: Gut aussortiertes Topspeed-Monster?

Ferrari sticht hervor, denn weder Sainz noch Leclerc legten es auf Windschatten an. Sainz staubte ein paar Nachzügler auf langsamen Runden ab. Leclerc fuhr komplett ohne Windschatten. Auch bei den absoluten Topspeed-Bestwerten des ganzen Trainings liegt Ferrari weit vorne, ist erstes oder zweites Auto.

Der SF-23 rollte gut ausbalanciert aus der Garage, besonders Sainz war den ganzen Tag zufrieden. Er patzte nur auf dem ersten Qualifying-Schuss mit einem Verbremser, musste nach zwei Cooldown-Runden auf dem alten Reifen nochmal ran. Leclerc sucht im Qualifying-Trimm noch Balance. Beide haben also noch Zeit im Köcher, auch ohne Windschatten.

Aber auch Red Bull fuhr nicht mit Windschatten. Man denke an das Helmut-Marko-Zitat eingangs - unnötiges Risiko. Max Verstappen und Sergio Perez wurden gestaffelt vor dem Hauptfeld auf ihre Qualifying-Simulationen geschickt. Beide begegneten sich nur kurz für zufällige, kleine und kaum ausschlaggebende Zughilfen.

Max Verstappen & Red Bull: Noch kein Grund zur Sorge?

Verstappens letzte drei Zehntel auf Sainz sind teils auch auf viel Verkehr raus aus der zweiten Lesmo zurückzuführen. Dort sammelte sich ein Pulk an Windschatten-Suchenden auf Schleichfahrt vor dem RB19. Anders als Ferrari gönnte Red Bull den Fahrern keine zweite fliegende Runde, um Fehler auszubügeln, sondern ging direkt in Longruns über.

Anders als Ferrari muss Red Bull jetzt noch bei der Balance einiges aussortieren. Man scheint noch unsicher beim Abtriebs-Level. Perez fuhr von Beginn an mit einem kleineren Flügel mit Ausschnitt im oberen Element und zeigte sich deutlich zufriedener mit der Balance.

Verstappen, mit größerem Flügel in FP1 fast permanent mit einem 5-km/h-Defizit unterwegs, wechselte für FP2 auch auf den kleineren. Wo jetzt der Setup-Sweetspot ist, weiß das Team noch nicht. "Wir haben ein bisschen herumexperimentiert, auf dem Longrun mit einem neuen Versuch die Balance durcheinandergebracht", so Helmut Marko. Perez untersteuerte ins Kiesbett.

Oben der FP2-Heckflügel von Verstappen, unten der FP1-HeckflügelFoto: LAT Images

So landen in den Longruns Leclerc, Perez und Verstappen auf den ersten drei Plätzen eng beieinander. Die Aussagekraft ist zweifelhaft. Es waren durchzogene Runden, der Perez-Abflug kam für alle ungünstig. Selbst wenn man die fragmentierten Longruns vor und nach der roten Flagge zusammenrechnet, kommen bei vielen kaum mehr als fünf repräsentative Rundenzeiten raus. Es läuft darauf hinaus, dass Ferrari und Red Bull am Freitag eng beieinander lagen. Red Bull hat aber noch mehr Verbesserungspotenzial, so das erste Fazit. Die beiden Teams sind dem Rest des Feldes erst einmal enteilt.

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Mercedes: Schon viele Gründe zur Sorge

Dass sich Mercedes Sorgen machen muss, steht fest. Man befindet sich in einem Boot mit Red Bull, ist sich des Setups unsicher. Im 2. Training wurden sie gesplittet. Lewis Hamilton verlor mit mehr Abtrieb übermäßig viel Zeit auf den Geraden. Da der Umbau zu lange gedauert hätte, fuhr er das Training damit fertig und verzichtete ganz auf eine Qualifying-Simulation. Ein langer Medium-Longrun machte für das Setup auch im Renntrimm aber keine Hoffnungen.

Andererseits war die Variante "weniger Abtrieb" am Auto von George Russell auch nicht vielversprechend. Er mühte sich sowohl bei den Qualifying-Simulationen als auch im Renntrimm ab. FP1 hatten die Fahrer die Balance noch zumindest für akzeptabel befunden. Die Nachtschicht für Simulatorfahrer Mick Schumacher ist bereits angekündigt.

McLaren schummelt, Williams stapelt tief

Den zweiten Platz im Qualifying-Trimm belegte Lando Norris. Der glaubt selbst nicht, dass er hier etwas verloren hat. Zurecht, denn er und Oscar Piastri erschlichen sich gute Windschatten-Hilfe. Trotzdem waren ihre Topspeeds vergleichbar mit dem, was ein Ferrari oder ein Williams ohne Windschatten zustande bringt. Kein gutes Vorzeichen.

McLaren überrascht mit P2 in Monza: Trainings-Ergebnis zweifelhaft

Auch hier wurden Setups gesplittet, auch hier ist man sich der finalen Richtung noch unsicher. Im Renntrimm war der MCL60 auch nicht allzu glücklich. Generell braucht er den Grip der weichen Reifen, um zum Leben zu erwachen. Mit dem Low-Downforce-Paket in Monza wird das noch offensichtlicher. Mehr als Top-10 rechnet sich das Team nicht aus.

Williams ist im Gegenzug ein Fragezeichen. Als mögliche Geheim-Kandidaten auf ein Podium unter anderem von Fernando Alonso hochstilisiert, war im 2. Training von Alex Albon nicht viel zu sehen. Im Longrun-Fragment war er immerhin auf ähnlichem Niveau wie Sainz und Russell unterwegs. An drei von vier Messpunkten ist der Williams beim Topspeed vorne.

Die besten Topspeeds im 2. Training an allen Messpunkten

Fahrer Vor T1 Fahrer Vor T4 Fahrer Vor T8 Fahrer Ziellinie
ALBON 348.1 SAINZ 331.2 ALBON 339.1 ALBON 314.5
LECLERC 347.2 ALBON 326.2 LECLERC 336.2 LECLERC 313.9
PIASTRI 346.7 LAWSON 325.7 SAINZ 335.8 SAINZ 313.8
ZHOU 346.1 BOTTAS 325.0 SARGEANT 335.7 SARGEANT 313.0
SARGEANT 345.8 ZHOU 324.8 BOTTAS 335.2 ZHOU 312.8
LAWSON 345.6 LECLERC 324.0 LAWSON 335.0 TSUNODA 312.3
SAINZ 345.1 SARGEANT 322.9 PEREZ 335.0 BOTTAS 312.1
ALONSO 344.6 TSUNODA 321.9 ZHOU 335.0 LAWSON 311.5
TSUNODA 344.0 VERSTAPPEN 321.5 TSUNODA 334.3 VERSTAPPEN 310.7
BOTTAS 343.1 OCON 320.9 VERSTAPPEN 333.0 NORRIS 310.3
PEREZ 341.5 PEREZ 320.6 HULKENBERG 332.1 ALONSO 310.2
HULKENBERG 341.3 RUSSELL 319.8 PIASTRI 332.1 PEREZ 309.6
VERSTAPPEN 340.6 HULKENBERG 319.2 ALONSO 331.1 PIASTRI 309.6
OCON 340.1 ALONSO 318.8 OCON 330.4 RUSSELL 308.8
GASLY 339.8 NORRIS 318.5 RUSSELL 330.2 HULKENBERG 308.5
NORRIS 335.6 MAGNUSSEN 317.8 NORRIS 329.9 OCON 307.9
RUSSELL 335.4 PIASTRI 317.3 MAGNUSSEN 328.1 GASLY 307.5
MAGNUSSEN 335.2 GASLY 316.9 GASLY 327.9 HAMILTON 307.3
HAMILTON 332.2 HAMILTON 313.4 HAMILTON 326.7 MAGNUSSEN 306.7

Im Qualifying-Trimm war er unauffälliger Siebter. Aber er fuhr er nicht auf Soft, sondern auf Medium. Weil an diesem Wochenende die Alternative Reifen-Zuweisung greift: Q1 nur mit Hard, Q2 nur mit Medium, Q3 nur mit Soft. "Q2 ist wichtiger als Q3 für uns, wir müssen da durch", erinnert Albon. Er sieht Ferrari und Red Bull davonziehen: "Schaden, das wären die Top-4, wenn sie keine Fehler machen. Wir können vielleicht McLaren, Mercedes, Aston Martin fordern."

Alternative Reifen-Regel: In Monza kein Grund zum Jammern

Bezüglich Alternative Reifen-Zuweisung: Viel wurde beim ersten Versuch in Ungarn gejammert. Die Fahrer sind noch immer unglücklich, wollen mehr Reifen zum Fahren. Aber das Argument, dass nicht gefahren wird und die Fans enttäuscht werden, greift nicht mehr.

Dass in FP2 weniger Runden gefahren wurden als im Vorjahr hängt mit zwei roten Flaggen und einem Total-Ausfall von Lance Stroll zusammen. Realistisch gesehen sind die Auswirkungen unwesentlich. In FP1 waren es 483 Runden verglichen mit 509 im Vorjahr. Die Fahrtverweigerung in Ungarn war auf ungewöhnliche Umstände mit Regen zurückzuführen.