2022 neigt sich dem Ende zu, es ist Zeit für einen Schlussstrich. Das gilt auch für die Formel-1-Redaktion von Motorsport-Magazin. Bevor es 2023 neu losgeht, haben sich neun Redakteurinnen und Redakteure also zusammengesetzt, und ihre Meinungen zum abgelaufenen Jahr kundgetan.

In den nächsten Tagen handeln wir das Manöver, das Rennen, den Absteiger und den Aufsteiger des Jahres ab und geben einen kleinen Ausblick. Heute aber starten wir zuerst mit einer Überraschung. Der Überraschung des Jahres nämlich. Pleiten-Mercedes, Piasco, oder doch etwas ganz anderes? So denkt MSM.

Die neuen Formel-1-Autos als Hingucker

Die Fahrzeugkonzepte
von Christian Menath
Die Autos der 2022er Generation sahen nicht nur gut, sondern auch sehr unterschiedlich aus. Eine solche Vielfalt an Konzepten gab es schon lange nicht mehr. Dabei hatten die Ingenieure schon Angst, alle Autos würden gleich aussehen! Genießen wir die Vielfalt, solange sie noch da ist. Wird sich am Ende ein Konzept durchsetzen? Möglich. Aber 2022 fuhren am Ende mit Red Bull, Ferrari und Mercedes drei völlig unterschiedliche Ideen fast gleich schnell.

Red Bull, Ferrari, Mercedes - drei stark unterschiedliche AutosFoto: LAT Images

Mercedes-Enttäuschung 2022: Nicht vorhersehbar?

Mercedes
von Rebekka Bauer
Im Vorjahr noch Titelanwärter, folgte 2022 der tiefe Fall des achtmaligen Konstrukteursweltmeisters. Keine Chance auf die Weltmeisterschaft, im besten Fall dritte Kraft und ständig unerklärliche Probleme mit dem W13. Die erste Saison ohne Sieg für Rekordweltmeister Lewis Hamilton, George Russell stand in zumindest Brasilien ganz oben auf dem Podest. Trotzdem sind die Erwartungen bei den Mannen von Toto Wolff andere. Aus der erhofften Rache nach Abu Dhabi 2021 wurde nichts: Der Erzrivale dominierte, dem einstigen Serienweltmeister Mercedes blieb nur die negative Überraschung der Saison.

Mercedes
von Isabelle Grasser
Die neue Formel-1-Ära barg große Hoffnungen. Besseres Racing und vielleicht gar eine neue Rangordnung der Teams. Tatsächlich war das neue technische Reglement für Überraschungen gut. Denn wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Rekordsieger Mercedes mit dem falschen Auto-Konzept in die Saison starten würde? Wie sehr das Team mit dem W13 haderte, wurde beim Grand Prix von Saudi-Arabien deutlich. Für Lewis Hamilton war bereits in der ersten Qualifying-Runde Endstation. Die Pace reichte schlichtweg nicht. Ein überraschendes Tief, dass die Formel 1 so seit 13 Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Mercedes falsch abgebogen - hier Lewis Hamilton im Kies von ÖsterreichFoto: LAT Images

McLarens Piastri-Coup schockt die Redaktion

Oscar Piastri & McLaren
von Samuel Marton
Für mich gibt es bei dieser Frage eigentlich nur eine Antwort: Oscar Piastri. Es war klar, dass dieser unfassbar talentierte Australier eines Tages und aller Voraussicht nach schon 2023 in ein Formel-1-Cockpit springen würde. Dass es dann doch nicht Williams, wie lange spekuliert wurde, sondern ausgerechnet McLaren wird, wo er den Schatten Daniel Ricciardos ersetzen soll, war etwas, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Das Ganze wurde geschmacklich verfeinert durch einen rechtlichen Schlagabtausch zwischen McLaren und Alpine - einfach herrlich!

Oscar Piastri & McLaren
von Carina Teifelhard
In vielen Augen war Oscar Piastri bei Alpine so gut wie fix. Auch das Team selbst war sich hier ziemlich sicher. Pustekuchen. Nachdem Alpine dann im August bekannt gegeben hatte, dass der Australier in der kommenden Saison Fernando Alonso ersetzen wird, begann das Desaster beim französischen Team. Denn kurze Zeit später veröffentlichte Piastri dann auch schon einen Social-Media-Post, in dem er erklärte, dass es mit Alpine keinen Vertrag gäbe. Die Verkündung des Wechsels zu McLaren hat dann auch nicht lange auf sich warten lassen. Die Silly-Season machte hier ihrem Namen wieder aller Ehre.

Teamchef-Chaos schreckt einmal, Ferrari schreckt immer

Teamchef-Beben
von Stephan Heublein
Vier neue Teamchefs binnen 24 Stunden! Capito, weg. Seidl, weg. Vasseur, weg. Binotto, schon lange weg. Wer die Silly Season der Formel 1 auf dem Fahrermarkt 2022 schon für unberechenbar hielt, der wurde vom großen Teamchef-Domino Mitte Dezember erst recht eiskalt überrollt. Meine Reaktion als das Fahrerlager-Radio uns vorab mit ersten Spekulationen erreichte: Seidl schon 2023 von McLaren zu Sauber? Nein, wieso denn das?! Überraschend, ja. Ein Schock, absolut. Ein cleverer Schachzug von Audi/Sauber? Ganz bestimmt. Bitte mehr davon! So macht selbst die Winterpause Spaß.

Ferrari
von Markus Steinrisser
Die Überraschungen nehmen bei Ferrari kein Ende. Wenigstens wird den Fans der Scuderia nicht langweilig. Dass man zurück an die Spitze fand, das ist nicht die große Überraschung. Wie spektakulär man den starken Start versemmelte, das schon. Zwei Jahre Vorbereitung, und dann kommt das dabei raus? Immerhin, es war ein Fortschritt, man hat die Fehler erkannt, jetzt kann Mattia Binotto mit seinem Führungsstab ... wie war das? Hat gekündigt, rausgedrängt? Das Pferd läuft seit Monaten kopflos durch Maranello. Ich mache mich für 2023 auf weitere Überraschungen gefasst. Positiv, negativ, wer weiß. Ist eben Ferrari.

Zwei Formel-1-Fahrer übertreffen 2022 überraschend Erwartungen

Guanyu Zhou
von Florian Niedermair
Ich gestehe: Wenn man mich vor der Saison gefragt hätte, was ich von Guanyu Zhou halte, ich hätte ihn am ehesten mit Nicholas Latifi oder Nikita Mazepin verglichen - zumindest fahrerisch. Ein mittelmäßiger Formel-2-Pilot, der auch in den kleineren Nachwuchsserien nur selten überzeugen konnte. Keiner für die Formel 1! Zhou hat mich eines Besseren belehrt. Unauffällig arbeitete er sich im Laufe der Saison immer näher an Valtteri Bottas heran. Bei einzelnen Rennen oder Qualifyings besiegte der erste chinesische Stammpilot den Ex-Mercedes-Fahrer sogar - vor allem im Regen. Auf so eine Rookie-Saison kann man aufbauen!

Nyck de Vries in Monza
von Tobias Mühlbauer
Dass Nyck de Vries 2022 einen Renneinsatz in der Formel 1 bekommen könnte, war angesichts seiner Reserverolle im Pool der Mercedes-Teams gar nicht so unwahrscheinlich. Wie er seine Chance im Williams, dem schlechtesten der Mercedes-Fahrzeuge, an jenem Sonntag in Monza nutze, das war aber eine Sensation. Mit gerade einmal FP3 als Vorbereitung durfte er dank einiger Strafen von Rang acht aus ins Rennen gehen. Es folgte eine Sternstunde, denn der Niederländer wurde mitnichten durchgereicht, sondern kämpfte munter um die Punkte mit. Der Lohn am Ende: Zwei Zähler und das AlphaTauri-Cockpit für 2023.