Fünf Tage nach dem bitteren Ausfall von Charles Leclerc in Frankreich reiste Ferrari als Topfavorit zum Formel-1-GP in Ungarn. Der winkelige kurze Hungaroring ist dem F1-75 wie auf den Leib geschneidert, während Red Bull in Budapest nur an wenigen Stellen von seinem Topspeed profitieren kann.

Genau dieses erwartete Bild zeigt sich am Trainings-Freitag auf dem Rundkurs in der Nähe von Budapest. Auf eine Runde sicherten sich Carlos Sainz und Charles Leclerc die Bestzeiten. Max Verstappen fehlten im zweiten Training 0,283 Sekunden auf die Spitze. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass im Shortrun Ferrari vorne liegt, ist keine Überraschung und in Anbetracht des prognostizierten Regens für Samstag wahrscheinlich auch irrelevant. Den ganzen Qualifying-Tag der Formel 1 heute in Ungarn gibt es hier im Liveticker.

Red Bull verliert im Longrun

Der gravierende Rückstand von Red Bull auf dem Longrun ist deutlich überraschender und auch um einiges gewichtiger. "Wir sind weiter weg als erwartet. Die Differenz zu Ferrari auf dem Medium-Reifen ist beängstigend", resümierte ein ernüchterter Marko am Freitagabend. Der Rückstand zu Ferrari belaufe sich auf drei bis vier Zehntel, kalkulierte er. Dabei war genau die Rennpace der große Trumpf von Red Bull in der bisherigen Saison, mit dem man häufig trotz einer Ferrari-Pole am Renntag doch das bessere Ende für sich hatte.

Die nackten Zahlen der Trainingsruns präsentieren sich sogar noch deutlicher als von Marko kalkuliert. Auf ihren jeweiligen Longruns auf dem Medium-Reifen spulte Verstappen eine Durchschnittszeit von 1:24.173 ab, während Leclerc mit 1:23.698 fast eine halbe Sekunde schneller war. Allerdings dauerte der Run des Niederländers um drei Runden länger an und wurde auf fünf Umläufe älteren Reifen abgeschlossen.

Formel 1 Ungarn - FP2: Longruns auf Medium

P Fahrer Zeit Runden Reifenalter
1 Leclerc 23,698 8 18
2 Verstappen 24,173 11 23
3 Alonso 24,737 11 20
4 Perez 24,782 11 22
5 Bottas 25,202 9 23
6 Russell 25,315 10 18
7 Zhou 25,335 8 19
8 Tsunoda 25,502 13 25
9 Magnussen 25,828 11 23
10 Latifi 25,992 13 16
11 Schumacher 27,247 10 22

Damit wären wir wieder bei den drei bis vier Zehnteln, mit denen Marko rechnete. Max Verstappen blickt deshalb wenig optimistisch auf seine Sieges-Aussichten für Sonntag. "Sie sind vor uns und es wird hart für uns werden, sie irgendwie zu schlagen", sagte der Weltmeister.

Dabei sah es im ersten Freien Training noch deutlich besser aus für die Truppe aus Milton Keynes. Doch in FP2 relativierte sich das Bild etwas. "Ferrari hat erstens die Motorleistung voll aufgedreht und wir haben in die falsche Richtung Veränderungen durchgeführt. Ferrari hat einen Schritt vorwärts gemacht und wir sind zwei zurückgegangen", so Marko.

Etwas Zeit wird für Red Bull in der Setup-Arbeit auf Samstag also wohl noch zu finden sein. Bei Ferrari hingegen war man am Freitagabend trotz der komfortablen Ausgangslage nur auf einer Seite der Garage vollends zufrieden, nämlich bei Charles Leclerc. "Wir haben an meinem Auto einige Dinge verändert. Das erste Training war ziemlich schwierig, aber im FP2 haben wir den richtigen Weg gewählt. Wir sind zuversichtlich, dass wir für den Sonntag richtig gearbeitet haben", freute sich der Monegasse.

Exakt das Gegenteil von Leclerc berichtete Sainz. Er habe sich "direkt aus der Box heraus komfortabel mit der Balance gefühlt", wie der Spanier erklärt. "Doch die Richtung, mit der wir in FP2 gingen, ließ uns ein bisschen das Vertrauen in unser Auto verlieren", analysierte der 27-Jährige. Das erklärt auch, warum seine Zeiten in der zweiten Trainings-Session klar langsamer waren als jene seines Teamkollegen.

Ferrari trumpft in Sektor 2 auf

Doch wo holt Ferrari in Ungarn seine ganze Zeit? Die schnellsten Abschnitts-Bestzeiten beweisen, dass Leclerc den Unterschied gegen Verstappen größtenteils im zweiten Sektor rausholt. Über zwei Zehntel beträgt sein Guthaben gegenüber dem Holländer dort, eine weitere Zehntelsekunde kommt in Sektor 1 dazu. Nur im dritten Sektor performen Verstappen und Leclerc beinahe auf Augenhöhe, wobei auch hier Leclerc die Nase vorne hat.

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Leclerc 28,441 27,595 22,370
Norris 28,189 28,083 22,390
Sainz 28,522 27,757 22,395
Verstappen 28,524 27,821 22,383
Ricciardo 28,273 28,139 22,460
Hamilton 28,414 28,279 22,560
Perez 28,550 28,120 22,594
Russell 28,578 28,311 22,466

Falls Red Bull nicht über Nacht noch eine Wunderwaffe aus dem Hut zaubert, scheint es nur eine Hoffnung zu geben, um Ferrari an diesem Wochenende tatsächlich den Rang ablaufen zu können: Das Regen-Qualifying. Darauf setzt man in Milton Keynes alle Hoffnungen. Denn Max Verstappen gilt als einer der besten Nasswetter-Piloten im Feld, wie er in der Formel-1-Saison 2022 etwa mit seiner Kanada-Pole bewies.

Red Bull hofft auf Regen

"Wir haben Verstappen, der bekanntermaßen im Regen eine Klasse für sich ist", war Marko überzeugt. Deshalb wolle man auch keine Setup-Kompromisse für den Samstag eingehen und alles auf den Sonntag legen. Der erste Startplatz ist auf dem überholfeindlichen Hungaroring zwar besonders wichtig, aber bei einer möglichen Pole Position ist es ein langer Weg bis ins Ziel - vor allem gegen zwei stärkere Ferraris. "Wenn wir nicht mehr Pace finden, wird uns das auch nicht über die Renndistanz retten", prognostiziert der Grazer.

Das liegt auch daran, dass es taktisch ausreichend Alternativen gibt. Es ist noch unklar, ob 1- oder 2-Stopp die schnellere Variante ist. Trotz der grünen Strecke in FP1, war der Reifenverschleiß relativ gering. Die Longrun-Zeiten deuteten ebenfalls darauf hin, dass der weiche Reifen deutlich über 20 Runden lang hält.

Dass die harte Pneus laut Pirelli nicht so gut performen, wie die weicheren Gummis, könnte aber wieder für eine 2-Stopp-Strategie sorgen. Genauso wie die im Vergleich zum Frankreich-GP deutlich kürzere Boxengasse, in der man von einem durchschnittlichen Zeitverlust von 21 Sekunden ausgehen kann. 2019 ging Verstappen bereits ein möglicher Ungarn-Sieg durch die Lappen, da Mercedes bei Lewis Hamilton auf zwei Reifenwechsel setzte.

Formel 1 Ungarn: Wie schnell ist McLaren wirklich?

Aber kommen wir zurück ins Jahr 2022: Den ersten Sektor hatte am Trainingsfreitag übrigens das Überraschungsteams des heutigen Tages im Griff: McLaren. Sowohl Lando Norris als auch Daniel Ricciardo mischten sich unter die ersten fünf. Dass das Team aus Woking ausgerechnet im Highspeed-Sektor der Strecke die Liste anführt, könnte darauf hindeuten, dass man am Freitag bereits mehr aufdrehte als die Konkurrenz. Doch auch wenn man ein paar Zehntel Spielraum nach hinten einkalkuliert, steht das Duo immer noch gut im Mittelfeld da.

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Auf dem Longrun relativiert sich der Pace-Vorteil von Norris und Ricciardo zur Konkurrenz wieder ein wenig. Ein direkter Vergleich zu vielen Mittelfeld-Fahrern ist zwar nicht möglich, da die McLarens auf den ansonsten beliebten Medium-Reifen für den Long Run verzichteten, aber Aston Martin fuhr ein ähnliches Programm und ordnete sich dabei jeweils weiter vorne ein. Stroll war hinter Sainz auf den Softs der zweitschnellste, Vettel war noch immer schneller als Ricciardo.

Der gute Aston-Speed kommt nicht ganz aus dem nichts. Strecken mit engen Kurven kommen dem AMR22 entgegen. Nicht umsonst gelang der Mannschaft aus Silverstone in Form von Sebastian Vettel ihr bestes Saisonergebnis in Aserbaidschan. In Ungarn brachte man außerdem einen innovativen Heckflügel an den Start, der das technische Reglement geschickt umgeht.

Formel 1 Ungarn - FP2: Longruns auf Soft

P Fahrer Zeit Runden Reifenalter
1 Sainz 23,624 7 16
2 Stroll 24,254 10 18
3 Ricciardo 24,377 10 14
4 Vettel 24,585 8 12
5 Norris 24,749 5 15
6 Ocon 25,090 4 14
7 Gasly 25,180 8 16

Formel 1 Ungarn - FP2: Longruns auf Hard

P Fahrer Zeit Stintlänge Reifenalter
1 Norris 23,917 11 14
2 Ocon 25,676 4 13
3 Albon 25,978 7 9

Formel 1 Ungarn: Mercedes schlittert ins Mittelfeld

Ein Gegner von Aston Martin und McLaren im Mittelfeld könnte tatsächlich Mercedes sein. Nachdem man sich zuletzt mit einigen Achtungserfolgen klar an dritter Stelle eingereiht hatte, ging in Ungarn für Lewis Hamilton und George Russell plötzlich gar nichts mehr voran. Im Longrun landete Russell nur auf der sechsten Position von elf mit Medium bereiften Fahrern - im Mittelwert 1,6 Sekunden hinter der Spitze - zwischen Bottas und Zhou.

Ob es am Samstag ganz so dramatisch aussehen wird, kann aber bezweifelt werden. Im ersten Training kämpfte Russell an seinem Mercedes mit Überhitzungsproblemen am Motor und den Vorderrad-Bremsen, weshalb er Lift-and-Coast betreiben musste. Auch in FP2 verlor Russell überdurchschnittlich viel Zeit in Highspeed-Passagen und auf der Bremse. Hamilton hingegen konnte nach einem Unterboden-Schaden gar keinen schnellen Longrun abspulen, die Pace des Ungarn-Rekordsiegers bleibt damit ein kleines Rätsel.