Ferrari beendet die Freitags-Trainings auch bei der Formel 1 in Silverstone mit der Bestzeit, und Red Bull spielt vorne mit. Soweit nichts neues. Aber nach drei harten Wochenenden taucht mit Lewis Hamilton erstmals seit langem wieder ein Mercedes vorne auf der Zeitentabelle auf. Auf einer Strecke, wo sich das Team schon vorab leise Hoffnungen gemacht hat.

Schnelle, fließende Kurven liegen dem Auto, und ein weiteres Upgrade-Paket soll beim Fahrkomfort und beim Setup Besserung liefern. Prompt waren Hamilton und George Russell in Silverstone im Qualifying- und Renntrimm schnell. Schlägt endlich die Stunde der Silbernen? Einfach wird es nicht - wie die Trainings-Analyse von Motorsport-Magazin.com zeigt. Den ganzen Qualifying-Tag der Formel 1 heute in Silverstone gibt es hier im Live-Ticker.

Den Zeiten nach ist es in Silverstone ein Dreikampf. In den Qualifying-Simulationen im Ergebnis des 2. Trainings gar ein Vierkampf, denn Lando Norris im McLaren brachte bei schwierigen Bedingungen die Reifen auf den Punkt und schummelte sich noch vor Max Verstappen im besten Red Bull auf den dritten Platz. Pacesetter Carlos Sainz, Hamilton, Norris und Verstappen trennen nur 0,207 Sekunden. Und Hamilton hätte deutlich näher sein können. Im ersten Sektor verlor er 0,263 Sekunden, weil er einen langsamen Nicholas Latifi nicht optimal passierte und dann einen Quersteher einlegte.

Das wären gute Nachrichten für Mercedes, die seit Saisonbeginn auf einer Runde straucheln, weil sie die Reifen nicht ins Fenster bekamen. Hamilton schien in Silverstone nichts davon zu spüren. In den Longruns erhärtete sich das Bild eines möglichen Dreikampfes: McLaren kann hier nicht mithalten, Mercedes aber war dran an den üblichen Platzhirschen Ferrari und Red Bull. Außerdem konnte Russell das Tempo verschärfen, während Sainz und Leclerc - wenn auch auf weicheren Reifen - langsamer wurden.

Formel 1 Silverstone - 2. Training - Longruns auf Soft

P. Fahrer Zeit Runden Reifenalter
1 Sainz 1:33,707 6 14
2 Verstappen 1:33,805 4 10
3 Ricciardo 1:34,738 7 16
4 Magnussen 1:35,474 8 18
5 Tsunoda 1:35,605 8 18

Formel 1 Silverstone - 2. Training - Longruns auf Medium

P. Fahrer Zeit Runden Reifenalter
1 Leclerc 1:33,797 7 19
2 Hamilton 1:33,968 5 17
3 Zhou 1:34,663 5 16
4 Schumacher 1:35,374 9 22
5 Latifi 1:35,661 7 10

Formel 1 Silverstone - 2. Training - Longruns auf Hard

P. Fahrer Zeit Runden Reifenalter
1 Russell 1:34,319 6 16
2 Norris 1:34,760 11 24
3 Bottas 1:34,975 8 18
4 Gasly 1:35,538 6 21

Mercedes in Silverstone vorsichtig optimistisch

Auch die Mercedes-Upgrades scheinen zu liefern. Aufhängung und Leitelemente vor dem Seitenkasten wurden neu positioniert und der Slot im Unterboden zur besseren Lastverteilung verschoben, auch an der Heckflügelspitze und am Unterbodenkörper wurde nachgeschärft. Das Team will aber noch keine Ansagen liefern, denn das 1. Training war wegen Nieselregen wertlos für Tests, und im 2. Training war der Wind unberechenbar.

"Aber wir haben nichts Beunruhigendes gesehen", sagt Chefingenieur Andrew Shovlin. Hamilton unterschreibt das: "Wir haben noch Arbeit vor uns, aber es fühlt sich wie ein kleiner Schritt nach vorne an." Allerdings gibt es eine Einschränkung: Die Konkurrenz hatte einen ungemütlichen Nachmittag.

Probleme bei Verstappen und Leclerc in Silverstone

"Wir finden keine richtige Balance zwischen Unter- und Übersteuern, haben zu wenig Grip in langsamen Kurven", sagt Red Bulls Motorsportchef Dr. Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Aber wir sind das erste Mal gefahren. So schlecht sind wir nicht."

Außerdem schien bei Red Bull irgendetwas in der Verkleidung zu schleifen. Die Heckpartie ist in Silverstone neu, soll mehr Kühloptionen bieten. Beide Fahrer beklagten sich im 2. Training über Geräusche. Verstappen fuhr trotzdem, Perez wurde sicherheitshalber am Ende kaltgestellt und konnte so keine Longruns absolvieren.

Charles Leclercs vier Zehntel Rückstand in der Qualifying-Simulation sind ebenfalls auf ein Problem zurückzuführen. Die Ferrari-Power Unit zickte, das Lenkrad zeigte auf den schnellen Runden an, dass sich das Auto im Lademodus befände, obwohl das nicht der Fall war. Das irritierte Leclerc, der ohnehin wie die Konkurrenz von Red Bull mit dem Setup haderte.

"Auf dem Soft war es schwierig", meint Leclerc. "Aus irgendeinem Grund war der nicht so gut wie der Medium, und dann hatten wir kleine Probleme zu managen. Aber die Performance ist im Auto". Das unterstrich Teamkollege Sainz mit der Bestzeit deutlich.

Viele Formel-1-Teams leiden in Silverstone unter Bouncing

Balanceprobleme hatten in Silverstone durch die Bank fast alle. Nicht nur, weil wegen dem Regen in FP1 alle nur 60 Minuten hatten, um ihre Autos auszusortieren. "Das ist vielleicht eine der schwierigsten Strecken, auf der wir mit diesen Autos gefahren sind", glaubt Carlos Sainz. "So wie die sich in den schnellen Kurven verhalten ist das auf jeden Fall eine große Herausforderung mit Gewicht, Fahrkomfort, all dem."

Traditionell ist Silverstone durch die Mischung von schnellen Kurven und lang gezogenen langsamen Passagen immer ein Setup-Drahtseilakt. Schnell drehender Wind machte es am Freitag noch schwieriger.

Fast überall klagt man über Untersteuern in den langsamen, und Übersteuern in den schnellen Kurven. Letzteres wird für viele Teams durch Bouncing-Effekte verschlimmert. Ferrari schien besonders ungemütlich. Vor der Highspeed-Rechts Copse beginnt das Auto beim Einlenken zu hüpfen, und anstatt sich zu beruhigen, scheint es sich aufzuschaukeln und so weiter bis zur nächsten Kurve, Maggotts, zu hoppeln. Sainz rutschte auf seiner ersten Push-Runde daher schon von der Strecke, funkte später: "Ohne dem Bouncing wäre ich viel schneller."

Der Red Bull steckt das Aufsetzen in Silverstone gut wegFoto: LAT Images

Noch experimentiert die Scuderia dahingehend. Leclerc schaltete etwa einen zusätzlichen Gang runter. Auch Mercedes tut sich schwer. "Es hüpft noch immer ordentlich", sagt Hamilton. "Nicht unbedingt auf den Geraden, aber in den Kurven ist es ziemlich ungemütlich. Nicht körperlich, mehr für das Auto." Red Bull hat leicht lachen, neben Alfa und Aston Martin scheint das Auto fast eben zu liegen.

Dreikampf-Potential für Formel 1 in Silverstone

Einer fuhr an der Spitze noch mit, Lando Norris landete auf einem starken dritten Platz. Ein Trugschluss? Norris brachte die Reifen in der Push-Runde auf den Punkt, in den Longruns lief es dann nicht mehr so einfach. Trotzdem ist die Stimmung gut, denn McLaren führte das Mittelfeld auch im Longrun an, vor Alfa. Allerdings fehlen hier Zeiten von Alpine und Aston Martin.

An der Spitze ist ein Dreikampf also nicht auszuschließen. Mercedes sieht hier so solide aus wie wohl noch nie in dieser Saison, eine Kombination aus einer dem Auto besser liegender Strecke und neuen Teilen. Dass Hamilton die Reifen für eine einzige Qualifying-Pushrunde bei kühlen Temperaturen ins Arbeitsfenster bekam, ist wohl ein vielversprechendes Signal. Und die Rennpace sieht ebenfalls gut aus.

Dennoch heißt es Vorsicht: Ferrari und Red Bull waren trotz problembelasteter Trainings auch im Longrun schneller. Sortieren sie sich bis zum Qualifying aus, wird es für Mercedes schwierig. Letzte Hilfe für die Silberpfeile bleibt dann: Silverstone ist unberechenbar. Nicht zuletzt wegen dem Wetter. Die Prognosen, ob es denn am Samstag regnen soll oder nicht, gingen am Vortag teilweise weit auseinander. Wenn der Fall eintritt, mögen Hypothesen über einen Dreikampf ohnehin hinfällig sein.