Nach zwei etwas glücklichen Siegen gegen Ferrari reiste Red Bull mit der Führung in beiden Weltmeisterschaften zum Formel-1-Wochenende nach Baku. Dort spitzt sich nach dem Trainings-Freitag das Duell zwischen den beiden dominanten Teams der bisherigen Saison noch einmal zu. Die beiden Mannschaften sind wieder einmal voll auf Augenhöhe.

Charles Leclerc schnappte sich auf dem Baku City Circuit die schnellste Zeit des Tages. In 1:43.224 Minuten umrundete er die 6,003 Kilometer lange Strecke und distanzierte sich damit um etwa eine Viertelsekunde von Sergio Perez und um 0,356 Sekunden von Max Verstappen, nachdem im ersten Training noch Perez die Nase vorne hatte.

FP2: Gelbphasen bremsen Hotlaps

Carlos Sainz konnte sich nicht an der Zeitenjagd seines Teamkollegen und der beiden Bullen beteiligen, da er seine schnelle Runde nach einem Fahrfehler im dritten Sektor abbrechen musste. Bis dahin fehlte dem Spanier etwas mehr als eine Zehntelsekunde auf die Bestzeit von Leclerc. In der Endabrechnung landete Sainz hinter Fernando Alonso nur auf der fünften Position.

Die Zeitentabelle ist aber mit Vorsicht zu genießen. Denn der starke Wind in der aserbaidschanischen Hauptstadt verursachte zahlreiche Verbremser und kleine Ausritte, die eine Reihe von gelben Flaggen zufolge hatten. Max Verstappen musste in einer dieser Gelbphasen seinen schnellen Anlauf aufgeben. "Ich hatte auf dem Soft heute etwas Pech, sogar beide Male - im ersten und im zweiten Training. Wegen gelber Flaggen musste ich meine erste Runde immer abbrechen", erklärte Verstappen.

Da die Pirelli-Pneus mit einer Aufwärmrunde gut ins Arbeitsfenster kommen, habe Verstappen auf der zweiten gezeiteten Runde jeweils wieder Zeit verloren. Der Weltmeister war aber kein Einzelfall. Auch Charles Leclerc hielt fest, dass seine Bestzeit nicht das Ende der Fahnenstange war. "In FP2 hat keiner eine Runde durchbekommen, wir auch nicht", sagte der Ferrari-Pilot.

Doch auch wenn man diese Gelb-Interventionen aus der Kalkulation nimmt, macht Ferrari am Freitag den besseren Eindruck, was den Qualifying-Trim angeht. "Ferrari ist auf eine Runde stark, aber auf den Longruns sind wir wieder auf Augenhöhe", behauptete Max Verstappen. Red-Bull-Motorsportchef Dr. Helmut Marko zeigte sich in seiner Analyse eine Spur optimistischer als der WM-Führende. Sein Fazit: "Auf eine Runde ist Ferrari schneller, wie so üblich. Aber auf dem Longrun scheinen wir einen Tick schneller zu sein". Den ganzen Qualifying-Tag der Formel 1 heute in Baku gibt es hier im Live-Ticker.

Red Bull im Longrun vorne?

Die Hochrechnung der Longrun-Zeiten spiegelt seine Aussage wider. Max Verstappen nahm Charles Leclerc auf dem weichen Reifensatz mit etwas frischeren Pneus durchschnittlich drei Zehntel pro Runde ab. Ein ähnliches Bild bot sich auch beim Vergleich der beiden Nummer-2-Piloten auf den Mediums. Perez unterbot die Rundenzeiten von Sainz um etwa eine Zehntel pro Umlauf.

Soft-Longruns

Fahrer Reifenalter Stintlänge Schnitt
Verstappen 11 3 1:47,457
Leclerc 16 7 1:47,779
Gasly 17 6 1:49,545
Vettel 10 2 1:49,609
Bottas 16 5 1:49,829
Norris 13 7 1:49,910
Ocon 17 9 1:50,315

Ferrari verzichtet auf Flügel

Red Bull setzte in diesem Jahr bislang häufig auf weniger Abtrieb und einen höheren Topspeed, um Ferrari im Rennen gefährden zu können. Auf dem highspeed-lastigen Stadtkurs versucht Ferrari diese Strategie abzublocken. Während in FP1 der Topspeed-Vorteil von Verstappen und Perez gegenüber den Titelkonkurrenten noch erheblich war, brachte die Mannschaft aus Maranello für FP2 eine neue und kleinere Heckflügel-Spezifikation an den F1-75.

Das Highspeed-Defizit der Scuderia wurde dadurch erheblich reduziert. Während im ersten Training Red Bull auf dem zwei Kilometer langen Vollgas-Stück hin zu Start-Ziel noch 12 bis 13 Km/h schneller war, betrug der Rückstand von Charles Leclerc auf seiner schnellsten Runde am Nachmittag lediglich drei bis fünf Km/h.

In Rundenzeit umgerechnet bedeutet das, dass Ferrari in Form von Leclerc auch im letzten Sektor - der praktisch nur aus einer echten Kurve und dem Vollgas-Stück hin zu Start-Ziel besteht - eine schnellere Zeit setzen konnte, als Max Verstappen und Sergio Perez.

Formel 1 Baku, Topspeeds-Vergleich von FP1 zu FP2

FP2 FP1
Leclerc 327,4 Km/h 320,0 Km/h
Sainz Keine schnelle Runde 320,0 Km/h
Verstappen 333,6 Km/h 330,6 Km/h
Perez 332,2 Km/h 332,1 Km/h

Zur besseren Vergleichbarkeit wurde jeweils der Topspeed-Wert auf der schnellsten Runde auf der Start-Ziel-Linie herangezogen und nicht der absolut schnellste Topspeed-Wert

Red Bull vs. Ferrari: Sektor 3 im Vergleich

FP1 FP2
Verstappen 25,901 25,544
Perez 25,899 25,64
Leclerc 26,105 25,417
Sainz 26,262 25,618

Bouncing ist wieder da: Mercedes und Sainz stark betroffen

Teamintern fiel allerdings Carlos Sainz bei Ferrari etwas von Leclerc ab. Dass ausgerechnet der Spanier sich einen Fahrfehler in FP2 leistete, war wohl nicht nur auf den Wind zurückzuführen. Im Gegensatz zu Leclerc berichtete Sainz von starkem Bouncing, das das Fahrverhalten des Ferraris beeinflusste.

Über das Porpoising sagte er: "Ich hatte mit diesem Phänomen hier wieder zu kämpfen, das in den letzten Rennen nicht mehr da war und es sah auf meiner Seite der Garage ziemlich stark aus". Die starken Hoppel-Bewegungen seines Boliden seien dafür verantwortlich, dass Sainz kein so gutes Gefühl in den Ferrari aufbauen könne.

Noch mehr als Sainz kämpfte man bei Mercedes mit dem Bouncing-Problem. Verglichen mit Barcelona scheint das Weltmeister-Team in dieser Hinsicht einen klaren Rückschritt gemacht zu haben. Ein stärkerer Bouncing-Effekt als noch bei den letzten beiden Grands Prix konnte auch ansonsten quer durch die Bank ausgemacht werden - sogar bei Red Bull. Helmut Marko beruhigte aber, dass dieser keine Auswirkungen auf die Leistung des RB18 habe.

Bei Mercedes verrannte man sich am Wagen von Lewis Hamilton im zweiten Freien Training gleichzeitig auch am Setup: "Wir haben etwas probiert, aber es hat sich nicht gut angefühlt. Vermutlich werden wir morgen wieder zum ursprünglichen Setup zurückkehren", so Hamilton.

Nur an diesem Setup-Poker liegt die mangelnde Freitags-Performance des Teams aus Brackley aber nicht. "Es geht eher darum, grundlegende Verbesserungen am Auto zu finden, als an der Feinabstimmung zu arbeiten", zeichnete auch Mercedes-Technikchef Andrew Shovlin ein düsteres Bild für die Silberpfeile.

Mercedes nur im Mittelfeld

Im Endklassement des Tages musste sich Russell hinter dem Alpine von Fernando Alonso und AlphaTauri-Mann Pierre Gasly auf der sechsten Position einordnen. Im Longrun konnte sich mit Lewis Hamilton auf Medium-Reifen noch ein Mercedes hinter Red Bull und Ferrari einsortieren. Der Abstand auf Sainz und Perez, die mit derselben Reifenmischung unterwegs waren, betrug aber bereits durchschnittlich 1,2 Sekunden, wohingegen das restliche Mittelfeld nur wenige Zehntel dahinter gestaffelt war.

Medium-Longruns

Fahrer Reifenalter Stintlänge Schnitt
Perez 17 6 1:47,995
Sainz 19 6 1:48,091
Hamilton 19 7 1:49,271
Vettel 17 7 1:49,446
Alonso 17 6 1:49,519
Tsunoda 18 8 1:49,743
Zhou 15 4 1:49,819
Stroll 19 8 1:50,271
Magnussen 17 5 1:50,538
Russell 21 9 1:50,644
Latifi 18 4 1:51,961

Hard-Longruns

Fahrer Reifenalter Stintlänge Schnitt
Ricciardo 17 4 1:49,641

Überraschend starke Longrun-Zeiten konnte im dicht gedrängten Mittelfeld Sebastian Vettel im Aston Martin abrufen, der mit derselben Reifenwahl und einem nahezu identen Reifenalter im Mittelwert nur zwei Zehntel auf Hamilton einbüßte. Ähnlich schnell unterwegs war auch Fernando Alonso im Alpine. Die Franzosen setzen auf besonders wenig Abtrieb und konnten so ihre Rundenzeit vor allem im letzten Sektor herausholen.

AlphaTauri mischte auch auf den vorderen Mittelfeld-Positionen mit. Jedoch neigt das Team aus Faenza dazu, bereits am Freitag voll aufzudrehen und viel Leistung aus ihrem Honda-Aggregat zu holen. Am anderen Ende der Longrun-Tabelle befindet sich Haas. Während Mick Schumacher aufgrund eines Wasserlecks an FP1 nicht wirklich teilnehmen konnte und auch im FP2 keinen Longrun absolviert, reihten Kevin Magnussen mit seinen Zeiten auf dem Medium im Renntrim nur vor George Russell und Nicholas Latifi ein.

Schnellste Sektorzeiten in FP2

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Leclerc 36,138 Sainz 41,319 Alonso 25,254
Perez 36,157 Leclerc 41,367 Leclerc 25,417
Sainz 36,188 Verstappen 41,613 Ocon 25,502
Verstappen 36,262 Perez 41,675 Verstappen 25,544
Gasly 36,407 Hamilton 41,857 Sainz 25,618
Tsunoda 36,565 Russell 41,893 Perez 25,64
Norris 36,572 Gasly 41,907 Vettel 25,766
Russell 36,592 Norris 41,928 Latifi 25,781
Alonso 36,662 Tsunoda 42,042 Stroll 25,812
Hamilton 36,683 Vettel 42,071 Gasly 25,818
Ocon 36,727 Ricciardo 42,136 Tsuoda 25,859
Zhou 36,76 Stroll 42,2 Schumacher 25,862
Bottas 36,783 Alonso 42,226 Magnussen 25,894
Ricciardo 36,801 Bottas 42,278 Bottas 25,9
Vettel 36,826 Magnussen 42,324 Zhou 25,984
Stroll 36,862 Zhou 42,35 Hamilton 26,001
Magnussen 37,19 Ocon 42,38 Russell 26,063
Albon 37,278 Albon 42,812 Ricciardo 26,122
Schumacher 37,357 Schumacher 43,016 Albon 26,15
Latifi 37,665 Latifi 43,392 Norris 26,271

Fazit: Red Bull und Ferrari sind in Aserbaidschan in ihrer eigenen Liga unterwegs. Weder auf eine Runde und schon gar nicht auf dem Longrun kann ihnen Mercedes oder ein Team aus dem Mittelfeld das Wasser reichen. Was die Hackordnung zwischen den beiden Mannschaften angeht, lässt sich schwer eine verlässliche Einordnung treffen. Ferrari fällt im Qualifying wohl die Favoritenrolle zu, aber im Gegensatz zu Monaco bietet Aserbaidschan ausreichend Überholmöglichkeiten. Zudem verfügt Red Bull trotz des neuen Low-Downforce-Pakets bei Ferrari über einen Topspeed-Vorteil. Die Entscheidung fällt wohl am Sonntag über die Rennpace - wenn nicht das Baku-Chaos wieder zuschlägt und das Rennen in eine Lotterie verwandelt.