Kein Schmuck mehr im Formel-1-Cockpit: An diese im für alle FIA-Serien relevanten International Sporting Code (ISC) verankerte Regel erinnerte im Rahmen des vergangenen Australien Grand Prix der 2022 neue Rennleiter Niels Wittich Fahrer und Teams. Wittich nutzte dafür seine an jedem Wochenende veröffentlichen "Notizen des Renndirektors". Diese dienen in erster Linie zur Klarstellung Event-spezifischer Regelungen wie Änderungen an der Strecke, Track Limits und Vorgaben für Übungsstarts.

Allerdings kann die Rennleitung dieses Dokument auch für grundsätzliche Klarstellungen oder Erinnerungen nutzen. Davon machte schon beim Saisonfinale 2021 der damalige Rennleiter Michael Masi Gebrauch. Vor dem am Ende kontroversen Rennen in Abu Dhabi erinnerte der Australier so insbesondere die WM-Konkurrenten daran, unsportliches Verhalten werde nicht toleriert und könne hart sanktioniert werden

Formel 1: Neuer FIA-Rennleiter erinnert Fahrer an Schmuck-Verbot

In Australien sorgte in den Notizen vor allem mit einem Passus zum Restart-Prozedere für Aufmerksamkeit. Darin verbot er den Fahrern, sich bei fliegenden Restarts teilweise oder nahezu gänzlich nebeneinander zu platzieren, wie es zuvor in Bahrain und Saudi-Arabien Max Verstappen vorgemacht hatte. Hier gab es also durchaus einen klaren Anlass.

Ganz anders beim Thema Schmuck. Dieses platzierte Wittich lediglich als generellen Reminder an eine bestehende Regel in den Notizen - aus Sicherheitsgründen. So kann Schmuck bei schlimmen Unfällen potenziell die Bergung des Fahrers erschweren oder selbst zu Verletzungen führen. Aus ähnlichen Gründen kündigte die FIA am Wochenende künftig auch schärfere Kontrollen der feuerfesten Unterwäsche der Fahrer an. Einzig von der FIA homologierte Kleidung soll getragen werden.

Lewis Hamilton in Australien weiter mit voller Schmuck-Montur

Beide Themen sollen am Freitagabend für große und langwierige Diskussionen im Fahrerbriefing durch Wittich geführt haben. Dabei ist eigentlich alles klar. "Das Tragen von Schmuck in Form von Körperpiercings oder Ketten aus Metall ist während des Wettbewerbs verboten und kann vor dem Start überprüft werden", heißt es in Kapitel drei, Artikel fünf des Appendix L des ISC. Und das seit mehr als 15 Jahren.

Dennoch waren auch während der Session getragene Körperpiercings, Ohrringe und anderer Schmuck in den vergangenen Jahren Usus. Auf sonderlich große Gegenliebe unter den Fahrern stieß der Denkzettel auch deshalb nicht gerade, insbesondere bei Lewis Hamilton. Der siebenmalige Weltmeister schmückt sich äußerlich sichtbar mit unter mit Nasenpiercing und Ohrenschmuck. Die legte Hamilton auch nach dem Reminder am restlichen Wochenende in Australien nicht ab - und plant das auch in Zukunft nicht.

Hamilton sieht Eingriff in Persönlichkeit

"Ich habe nicht vor, sie zu entfernen", sagte Hamilton nach dem Rennen. "Ich denke, es gibt persönliche Dinge. Man sollte so sein können, wie man ist", meint der Brite. Noch dazu könne er seinen Ohrschmuck nicht einmal einfach so abnehmen. "Es gibt Zeug, das ich nicht bewegen kann. Die hier kann ich tatsächlich nicht einmal herausnehmen", betonte Hamilton. "Die hier an meinem rechten Ohr, die sind buchstäblich eingeschweißt, also müsste ich sie abscheiden oder sowas. Also bleiben sie dran", sagte Hamilton.

Konsequenzen hatte das in Melbourne nicht zufolge, das kann sich in Zukunft allerdings ändern. Schon vor dem Australien-GP hatte sich Hamilton darüber gewundert, was der Wirbel plötzlich soll. In der offiziellen FIA-Pressekonferenz sorgte der Brite gemeinsam mit Max Verstappen für große Heiterkeit. Hamilton: "Ich weiß, dass du ein Nippel-Piercing hast, Mann. Come on!" Verstappen: "Willst du es nochmal sehen?"

Hamilton und Verstappen veralbern Regel-Reminder

Hamilton unter großem Gelächter weiter: "Ich habe gewissen Piercing, die ich einfach nicht herausnehmen kann und von denen viele Leute nicht einmal wissen. Nein. Ich mache Spaß! Ich mache Spaß! Aber nein, die Regel gab es ja schon immer, also ist das nichts neues. Aber ich werde nächste Woche einfach mit noch mehr Schmuck ankommen!"

Hamilton gibt sich also rebellisch, Verstappen nur amüsiert. "Dann wäre ich zu schwer. Also ist es gar nicht möglich", scherzte Verstappen. Hintergrund: Red Bull klagt derzeit noch über große Gewichtsnachteile. Rund zehn Kilogramm mehr als der Ferrari soll der RB18 wiegen. "Ich habe gehört, dass es gestern ein unterhaltsames Fahrerbriefing war, aber aus Gründen des Gewichtssparens ist es für uns gerade nur hilfreich, egal ob es darum geht, Schmuck oder Unterwäsche zu verlieren", ergänzte Teamchef Christian Horner. "Aber ich werde ganz sicher nicht die Unterwäsche unserer Fahrer auf Konformität prüfen!"

Toto Wolff lobt Wittich: Schmuck-Debatte allerdings unnötig

Horners Pendant auf Mercedes-Seite kann sich über das Thema ebenfalls fast nur amüsieren. "Ist das eine Schlacht, die er [Wittich] zu diesem Zeitpunkt schlagen muss? Aber wie auch immer. Wenn sich das als der größte unglückliche Fehltritt eines Rennleiters entpuppt, würde ich das tausendfach hinnehmen", sagte Wolff der Press Association, mit Wittich abseits dessen um ein Vielfaches zufriedener als mit dessen Vorgänger Michael Masi. "Wie er die ersten paar Rennen geleitet hat, war respektvoll, solide und er hat keinen einzigen Fehler gemacht", lobt Wolff.

Welche potenziellen Strafen bei Verstößen gegen die Regeln, sei es nun Schmuck oder Unterwäsche, drohen, lässt sich allenfalls durch Beispiele aus anderen Rennserien erahnen. So kassierte Formel-E-Fahrer Lucas di Grassi wegen nicht regelkonformer Unterwäsche beim Uruguay ePrix 2018 eine Geldstrafe von 10.000 Euro. Noch im selben Jahr erwartete André Lotterer und Jean-Eric Verge eine ähnliche Strafe.

Reizthema Unterwäsche

Insbesondere beim Thema Unterwäsche regte sich aus Fahrerkreisen mehr Widerspruch. Gerade hier sind Änderungen der gewohnten Routinen unerwünscht - ganz zu schweigen von der für manche Fahrer augenscheinlichen Banalität. "Das war das längste Fahrerbriefing meines Lebens", stöhnte Hamilton. "Ich verstehe wirklich nicht, warum sie so kleine Dinge aufgreifen, wie die Unterwäsche. Sprechen wir wirklich über solche Dinge?", wunderte sich der Brite. Bei diesem Thema schlossen sich auch andere Fahrer mit ähnlicher Kritik an. "Wenn es sie glücklich macht, nur zu", kommentierte etwa Gasly nun möglicherweise bevorstehende Kontrollen der Unterbekleidung.

Daniel Ricciardo zeigte sich entspannter. Er werde schlicht sämtlichen Forderungen nachkommen. Fernando Alonso fehlte jegliches Interesse. Stattdessen vermutet der Spanier einen ganz anderen Hintergrund des aufgekommenen Themas: "Das ist Teil der Show, schätze ich."