Ferrari geht in der Formel 1 2022 einmal mehr mit jeder Menge Vorschusslorbeeren in die Saison. Bei den Testfahrten gaben Charles Leclerc und Carlos Sainz im F1-75 eine praktisch makellose Figur ab. Vor dem Auftakt in Bahrain gilt die Scuderia als Favorit oder zumindest als Anwärter auf die Weltmeisterschaft. Der gute Eindruck macht den Fahrern Mut, doch den Erfolgsdruck überlassen sie lieber der Konkurrenz von Mercedes und Red Bull.

"Ich denke, es ist Red Bull", legt sich Leclerc gegenüber Motorsport-Magazin.com auf den Titelverteidiger als Favoriten fest. Weltmeister Max Verstappen erzielte am sechsten und letzten Tag in Bahrain die einzige Tagesbestzeit des Teams. Der Niederländer erklärte daraufhin, noch längst keinen Performance-Run gefahren zu sein. Dass sich Mick Schumacher im Haas mit einer halben Sekunde Rückstand als erster Verfolger einreihte, scheint diese Aussage zu bestätigen.

Für die Ferrari-Piloten ist Red Bull trotzdem der Benchmark der Testfahrten. "Red Bull hat mit den Updates am letzten Tag einen riesengroßen Schritt gemacht", so Leclerc weiter. Der zweifache Grand-Prix-Sieger sieht nicht nur die Österreicher vor seinem Team. Auch Konstrukteursweltmeister Mercedes hält er für deutlich stärker, als Lewis Hamilton und George Russell ihr Team aussehen lassen.

"Mercedes hat nicht all sein Potential gezeigt. Sie sind hier und da ein paar gute Runden gefahren, aber haben nie wirklich alles zusammengebracht. Ich denke, wir werden von Mercedes noch viel mehr sehen und dass dies die beiden Teams sein werden, die es dieses Jahr zu schlagen gilt", sagt der Monegasse.

Sainz traut dem Hype um Ferrari nicht

Während Red Bull bei den Wintertestfahrten erst spät an der Spitze auftauchte, war Ferrari dank Leclerc schon am zweiten Tag in Barcelona an der Spitze. Seit den ersten Runden des neuen F1-75 ist die Mannschaft in aller Munde, doch Sainz stapelt tief: "Du willst das einfach noch nicht richtig glauben. Natürlich bist du um Kopf bereit, um den Sieg zu kämpfen. Du willst dafür bereit sein, aber dich auch nicht diesem Hype um uns herum hingeben."

Die Italiener zeichneten vor allem zwei problemfreie Testwochen aus, die den Fahrern ein besonders gutes Gefühl für den Saisonstart geben. "Ich denke, wir sind wirklich sehr gut vorbereitet. Wir haben sämtliche Tests durchgeführt und hatten keine großen Probleme, was sehr wichtig ist", so Leclerc.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Ferrari in die ab 2022 eingefrorene Power Unit investiert. Die Entwicklung des Autos für das neue Reglement wurde ebenfalls früher als bei den anderen Top-Teams in Angriff genommen, nachdem die Scuderia 2021 keinerlei Chancen auf den WM-Titel hatte.

Ferrari stolz auf gute Saisonvorbereitung

"Ihr könnt nicht vorstellen, welch große Anstrengungen wir in dieses Projekt investiert haben und wie lange wir daran gearbeitet haben, wie viele Stunden ich in Maranello verbracht habe", sagt Sainz, der in seine zweite Saison mit dem italienischen Traditionsrennstall geht. Die Rückkehr an die Weltspitze verläuft zumindest anhand der bisherigen Eindrücke nach Plan.

"Wir sind sehr stolz darauf, wie wir an diesen sechs Testtagen gearbeitet haben und wie wenige Schwierigkeiten wir hatten", sagt der Spanier. Leclerc zieht seinen Optimismus vor seiner vierten Saison in Rot hauptsächlich aus diesem Umstand: "Das ist der Hauptgrund, weshalb wir nach den Tests Grund zur Freude hatten. Dabei geht es nicht um Konkurrenzfähigkeit, denn die können wir noch nicht einschätzen. Es geht darum, dass wir zuverlässig waren und als Team insgesamt gut gearbeitet haben."

Kontinuität als Trumpf gegen Red Bull und Mercedes?

Doch eines hat Ferrari durchaus mit Red Bull gemeinsam. Das Potential des Autos wurde bei den Testfahrten längst nicht ausgereizt. "Ich habe noch keinen Performance-Run gefahren und das Auto ans Limit gebracht", so Sainz. Der Teamkollege sieht die Scuderia in einem Punkt sogar im Vorteil gegenüber den Rivalen.

"Ich bin zuversichtlich, weil ich das Gefühl habe, dass niemand so viel wissen über sein Auto hat, wie wir, da sie ihre Autos ständig verändert haben", so Leclerc mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Spezifikationen und Mercedes und Ferrari. "Ich bin mit unserem Ansatz wirklich glücklich und damit, dass wir unser Auto schon sehr gut kennen."

Doch auch wenn er Red Bull vorne sieht, so empfindet er Ferrari durch die starke Vorarbeit zumindest in Schlagdistanz: "Ich habe zwar den Eindruck, dass wir immer noch hinter Red Bull sind, aber wir sprechen nicht mehr von einer Sekunde wie in den Jahren zuvor. Ich denke, es ist schon eng und das ist ein gutes Zeichen."

Eine Zielvorgabe für das Wochenende trauen er und Sainz sich erst nach den Trainings zu. Den Druck will Ferrari zwar abwenden, doch die gute Presse missfällt Leclerc keineswegs. "Es ist ein gutes Zeichen, dass die Leute uns vorne erwarten. Es bedeutet, dass wir im Moment etwas richtig machen", sagt der 24-Jährige. "Wir lassen uns davon nicht verleiten, denn es waren nur Testfahrten. Aber es ist gut wieder solche Schlagzeilen zu haben, denn in den letzten zwei Jahren war das nicht oft der Fall."