Monaco war für Mercedes ein Ausrutscher. Ein Ausrutscher mit Ankündigung. Die engen Straßenschluchten waren seit jeher Gift für den wenig wendigen Silberpfeil. In Baku allerdings hatten viele Lewis Hamilton und Valtteri Bottas wieder im Kampf um den Sieg gesehen. Außer Tiefstapel-Teamchef Toto Wolff: "Es ist hier alles Stop and Go und es gibt kaum schnelle Kurven. Da war es immer klar, dass das schwierig für uns sein würde."

Doch wie schwierig? Lewis Hamilton landete im 2. Freien Training auf Rang elf, Valtteri Bottas gar nur auf Platz 16. "Das wird vielleicht das schwierigste Qualifying für uns, das ich je gesehen habe", warnt Wolff und fügt an: "Wie Singapur 2015." Damals qualifizierten sich Nico Rosberg und Lewis Hamilton auf den Plätzen fünf und sechs. In Mercedes-Hybrid-Maßstäben schon eine mittlere Katastrophe.

Kurios: Lewis Hamilton hatte nach dem Trainingsfreitag gar nicht so viel auszusetzen. "Wir hatten einen sauberen Lauf und konnten in beiden Trainings unser geplantes Programm absolvieren", resümierte er, fügte allerdings noch an: "Wir waren dabei nur nicht besonders schnell!"

"Uns fehlt eindeutig die Pace und wir scheinen insgesamt nicht genug Grip zu haben und zu viel herumzurutschen", präzisiert Teamkollege Valtteri Bottas. "Monaco war nicht einfach, aber dort waren wir im Qualifying zumindest mehr oder weniger dabei. Heute sahen wir uns einer größeren Herausforderung gegenüber, als wir erwartet hatten."

Mercedes' Strecken-Chefingenieur Andrew Shovlin geht sogar noch einen Schritt weiter: "Heute war mit Abstand unser schlimmster Freitag." Viele Gelb-Phasen und die generell hohe Fehlerquote auf dem Baku City Circuit verfälschten das Ergebnis etwas. Doch selbst bei der Addition der besten Sektoren sieht es für Mercedes nicht besser aus: Hamilton landet auf Rang 10, Bottas bleibt auf Rang 16.

Formel-1-Training Baku: Theoretische Bestzeiten

POS Fahrer Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3 Theo. Best Rückstand
1 Sainz 35,894 41,247 24,891 1:42,032
2 Perez 35,892 41,249 24,974 1:42,115 0,083
3 Verstappen 35,826 41,078 25,215 1:42,119 0,087
4 Leclerc 35,854 41,29 25,121 1:42,265 0,233
5 Gasly 36,016 41,133 25,15 1:42,299 0,267
6 Alonso 36,11 41,456 25,014 1:42,580 0,548
7 Giovinazzi 36,324 41,631 24,749 1:42,704 0,672
8 Norris 36,267 41,521 25,126 1:42,914 0,882
9 Tsunoda 36,043 41,643 25,244 1:42,930 0,898
10 Hamilton 36,102 41,676 25,225 1:43,003 0,971
11 Ocon 36,268 41,941 24,811 1:43,020 0,988
12 Ricciardo 36,279 41,618 25,126 1:43,023 0,991
13 Räikkönen 36,301 41,711 25,208 1:43,220 1,188
14 Vettel 36,512 41,966 25,187 1:43,665 1,633
15 Stroll 36,563 42,03 25,219 1:43,812 1,780
16 Bottas 36,567 42,089 25,208 1:43,864 1,832
17 Russell 36,721 42,438 24,95 1:44,109 2,077
18 Mazepin 37,147 42,527 25,69 1:45,364 3,332
19 Schumacher 37,293 42,958 25,844 1:46,095 4,063
20 Latifi 37,891 43,514 25,578 1:46,983 4,951

Windschatten bleibt allerdings ein Fragezeichen. Möglicherweise hat der ein oder andere Konkurrent etwas mehr von der temporären Reduzierung des Luftwiderstands profitiert. Antonio Giovinazzi katapultierte der Windschatten bis auf Position sieben nach vorne - wohl ein Stück von der echten Performance des Alfa entfernt.

Besondere Probleme hatte Mercedes mal wieder in den langsamsten Ecken der Strecke. "Aber ich glaube, dass sie das bis morgen aussortiert haben", fürchtet Konkurrent Dr. Helmut Marko. Bei Mercedes ist man naturgemäß weniger optimistisch. Zumindest, was die Performance auf eine Runde angeht. Denn einmal mehr scheint es ein Problem mit den Soft-Reifen zu sein. Aus dem weichsten Gummi holt der schwarze Silberpfeil auf Anhieb nicht das volle Potential heraus.

Im Longrun und auf dem Medium-Reifen sah es bei Mercedes schon viel besser aus. "Wir haben ein gutes Rennauto, aber wir haben ein Problem damit, es auf eine Runde hinzubekommen", bestätigt Toto Wolff. "Das Rennen ist zum Glück am Sonntag." Und im Gegensatz zu Monaco - oder Singapur - gibt es in Baku jede Menge Überholmöglichkeiten.

Longruns auf Soft

Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Zeit
Verstappen 17 8 1:46,838
Perez 16 8 1:46,943
Sainz 15 4 1:47,400
Tsunoda 17 5 1:47,946
Alonso 18 9 1:47,970
Norris 14 8 1:47,979
Bottas 13 3 1:48,100
Gasly 14 5 1:48,151
Stroll 15 8 1:48,175
Giovinazzi 19 8 1:48,888
Schumacher 8 3 1:50,457

Longruns auf Medium

Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Zeit
Hamilton 16 8 1:47,187
Norris 10 2 1:47,785
Gasly 12 3 1:47,794
Ricciardo 13 5 1:47,828
Bottas 10 2 1:47,915
Räikkönen 16 8 1:48,439
Leclerc 18 6 1:48,716
Ocon 16 9 1:48,850
Russell 16 8 1:49,680

Longruns auf Hard

Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Zeit
Vettel 13 5 1:48,080
Mazepin 11 8 1:49,583

Einen Seitenhieb Richtung Red Bull kann sich Wolff nicht verkneifen: "Wenn du auf den Geraden den Flügel hast, der dir den zusätzlichen Speed gibt, hast du die optimale Kombination." Worauf der Österreicher anspielt, ist klar: Red Bulls flexiblen Heckflügel, der in Baku zum letzten Mal so eingesetzt werden darf. Ab Frankreich gelten strengere Regeln.

Marko wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe: "Der Flügel wurde von der FIA abgenommen und er besteht alle Tests. Wir befinden uns im gleichen Bereich wie Mercedes." Die Bullen gaben am Freitag das Tempo vor: Am Vormittag fuhr Max Verstappen Bestzeit, am Nachmittag Sergio Perez.

Der Vorsprung auf die überraschend starken Ferrari war allerdings nur gering. Traditionell deckt Ferrari die Karten am Freitag schon etwas mehr auf als Red Bull und Mercedes. Im Qualifying dürfte die Lücke etwas größer werden. Das zeigen auch die Longruns, die diesbezüglich ein repräsentativeres Bild abgeben. Hier fehlt Ferrari gut eine halbe Sekunde auf Red Bull.

Dabei ist von Red Bull sogar noch mehr zu erwarten: Max Verstappen haderte im 2. Freien Training mit dem Setup. Wie schon in Monaco wurde bei ihm die falsche Richtung bei der Fahrzeugabstimmung eingeschlagen. Er hatte plötzlich keinen Grip mehr auf der Vorderachse. Laut Dr. Marko aber ein lösbares Problem, wenn die Ingenieure beim Setup mehr die Perez-Richtung einschlagen.

Einen Ausblick auf die Mercedes-Performance gibt der Hamilton-Longrun auf Medium. Zwar gibt es keinen Red-Bull-Vergleich, weil sich die Bullen auf den weichen Reifen konzentrieren, doch im Vergleich zur anderen Konkurrenz fuhr Hamilton auf dem gelben Pneu wieder in einer eigenen Liga. Wenn es Mercedes im Q2 schafft, sich auf den Mediums zu qualifizieren, müssten Hamilton und Bottas den ungeliebten Soft im Rennen gar nicht erst fahren.

Fazit: Red Bull ist der Topfavorit in Baku. Im Qualifying können sich die Bullen nur selber schlagen. Mercedes muss am Samstag Schadensbegrenzung betreiben, um im Rennen in Lauerstellung zu sein. Im Renntrimm ist diesem Silberpfeil alles zuzutrauen. Ferrari sah überraschend stark aus, weil die Streckencharakteristik dem SF21 nicht so gut liegen sollte. Ganz vorne gegen Red Bull und - zumindest im Rennen - gegen Mercedes wird es für die Scuderia wohl nicht reichen, aber der Kampf gegen McLaren geht weiter - mit Vorteil Ferrari.