Die Präambel, dass Testfahrten mit Vorsicht zu genießen sind, stellen wir der Test-Analyse in jeder Saison voran. Manch einer würde es auch als Kaffeesatzleserei bezeichnen. Trotzdem findet die Auswertung der Wintertests immer großen Anklang bei den Motorsport-Magazin.com-Lesern.

2021 ist die Sachlage noch komplizierter: Schon im vergangenen Jahr wurden die Testfahrten von acht auf sechs Tage beschnitten. Vor dem diesjährigen Saisonstart gab es gar nur drei Testtage. Gleichzeitig fand der Test diesmal in Bahrain statt. Die Bedingungen sind an sich besser, aber nicht stabiler.

Formel-1-Test 2021: Kürze und Wetter erschweren Analyse

Der erste Tag war aufgrund des Sandsturms für die Katz. Dazu gab es jeden Tag zwei unterschiedliche Sessions: Die Bedingungen am Vormittag unterschieden sich deutlich von jenen am Nachmittag. Vor allem der Sonnenuntergang erschwert den Datenvergleich zwischen Vormittags- und Nachmittagssession.

Mercedes strauchelt: Ist Red Bull jetzt Favorit in der Formel 1: (18:23 Min.)

Der stark verkürzte Test führte dazu, dass die Teams komplett andere Programme als die Jahre zuvor abspulten. Dazu kamen die komplizierten Bedingungen. Die Summe daraus erlaubte es Reifenhersteller Pirelli nicht einmal, Delta-Zeiten zwischen den verschiedenen Reifenmischungen zu bestimmen.

Deshalb gibt es in diesem Jahr bei der Zeitenliste keinen Korrekturfaktor. In der Vergangenheit haben wir alle aufgezeichneten Runden mit einem Reifen-Korrekturfaktor versehen und so eine eigene Bestenliste aufgestellt. Dieser Vergleich entfällt 2021 leider.

Deshalb bleibt die kumulierte Zeitentabelle aller drei Testtage. Die ist besonders wenig aussagekräftig, weil nur die Hälfte des Feldes am letzten Testtag bei der Abendsession perfekte Bedingungen hatte. Die Tage zuvor blies der Wind noch deutlich stärker.

Formel 1 Testfahrten Bahrain, Bestzeiten kumuliert

Fahrer Team Session Zeit Rückstand Reifen
Verstappen Red Bull 3, Nachmittag 1:28,960 C4
Tsunoda AlphaTauri 3, Nachmittag 1:29,053 0,093 C5
Sainz Ferrari 3, Nachmittag 1:29,611 0,651 C4
Räikkönen Alfa Romeo 3, Nachmittag 1:29,766 0,806 C5
Hamilton Mercedes 3, Nachmittag 1:30,025 1,065 C5
Russell Williams 3, Nachmittag 1:30,117 1,157 C5
Ricciardo McLaren 3, Nachmittag 1:30,144 1,184 C4
Perez Red Bull 3, Vormittag 1:30,187 1,227 C4
Bottas Mercedes 2, Nachmittag 1:30,289 1,329 C5
Alonso Alpine 3, Nachmittag 1:30,318 1,358 C4
Gasly AlphaTauri 2, Nachmittag 1:30,413 1,453 C5
Stroll Aston Martin 2, Nachmittag 1:30,460 1,500 C5
Leclerc Ferrari 3, Vormittag 1:30,486 1,526 C3
Norris McLaren 2, Nachmittag 1:30,586 1,626 C4
Giovinazzi Alfa Romeo 2, Nachmittag 1:30,760 1,800 C5
Ocon Alpine 1, Nachmittag 1:31,146 2,186 C4
Mazepin Haas 3, Nachmittag 1:31,531 2,571 C4
Latifi Williams 2, Nachmittag 1:31,672 2,712 C4
Schumacher Haas 3, Vormittag 1:32,053 3,093 C3
Vettel Aston Martin 1, Vormittag 1:33,742 4,782 C3*
Nissany Williams 1, Vormittag 1:34,789 5,829 C3

* Vettel fuhr seine Bestzeit auf den Prototyp-Reifen der C3-Mischung

Wie unrealistisch das Bild ist, zeigt der Abstand zwischen Lewis Hamilton im Mercedes und George Russell im Williams. Beide trennt nur eine Zehntelsekunde. "Mit weniger Sprit an Bord ergab sich ein verworrenes Bild", gesteht auch Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin.

"Die sind sicherlich viel schwerer gefahren, als wir es waren", meint Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko. Aber ganz so überlegen wie in der Vergangenheit schätzt der Grazer den Erzfeind trotzdem nicht ein: "Man hat gesehen, dass vor allem Hamilton relativ viel von der Strecke abgekommen ist. Was man so gesehen hat, wirkt das Auto unruhig und etwas wenig vorhersehbar."

Fragenzeichen hinter Aston Martin und Sebastian Vettel

Den schwächsten Eindruck auf eine Runde machte Haas. Allerdings legte es die Mannschaft von Günther Steiner nicht darauf an. Obwohl Mazepin in der perfekten letzten Nachmittagssession fuhr, ging er deutlich früher auf Zeitenjagd als die Konkurrenz. Schumacher fuhr seine Bestzeit am Vormittag und auf den C3-Reifen. Da sollte noch Luft nach oben sein.

Keine einzige schnelle Runde fuhr Sebastian Vettel. Der Aston Martin des Heppenheimers wurde beim Test mehrfach von Defekten ausgebremst. Bevor er am letzten Nachmittag auf Qualifying-Simulation gehen sollte, streikte der Ladedruck.

Einen starken Eindruck machte dagegen AlphaTauri und vor allem Yuki Tsunoda, der die guten Bedingungen zu nutzen wusste. AlphaTauri ist aber bekannt dafür, schon etwas früher die Karten auf den Tisch zu legen. Möglicherweise gab Honda dort auch schon mehr Leistung frei. Die Sektorzeiten deuten das an. Im ersten und letzten Sektor des Bahrain International Circuit ist vor allem Leistung gefragt.

Formel 1 Testfahrten Bahrain, Sektorzeiten gesamt

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Tsunoda 28,401 Verstappen 38,157 Tsunoda 22,215
Verstappen 28,452 Tsunoda 38,398 Verstappen 22,351
Raikkonen 28,523 Perez 38,505 Russell 22,432
Sainz 28,549 Sainz 38,566 Perez 22,446
Hamilton 28,741 Bottas 38,586 Sainz 22,496
Ricciardo 28,749 Hamilton 38,630 Raikkonen 22,542
Alonso 28,778 Stroll 38,643 Bottas 22,566
Russell 28,796 Raikkonen 38,701 Hamilton 22,610
Norris 28,879 Ricciardo 38,760 Ricciardo 22,635
Ocon 28,893 Gasly 38,773 Alonso 22,648
Leclerc 28,902 Leclerc 38,793 Gasly 22,666
Gasly 28,926 Russell 38,801 Norris 22,703
Giovinazzi 28,926 Alonso 38,810 Stroll 22,744
Perez 28,926 Norris 38,874 Giovinazzi 22,752
Stroll 28,975 Giovinazzi 39,053 Leclerc 22,761
Bottas 29,001 Ocon 39,217 Latifi 22,857
Mazepin 29,122 Latifi 39,278 Ocon 22,921
Schumacher 29,213 Mazepin 39,332 Mazepin 22,994
Latifi 29,493 Schumacher 39,427 Schumacher 23,175
Vettel 29,559 Vettel 40,796 Vettel 23,387
Nissany 29,743 Nissany 41,005 Nissany 23,662

Beim Thema Leistung dürfen natürlich die Geschwindigkeitswerte nicht fehlen. Aber - man ahnt es bereits: Die sind 2021 ebenfalls nicht besonders relevant. Warum? Weil der Wind vor allem an Tag 1 stark blies. Dann drehte er sich um 180 Grad. Deshalb wurden fast alle Topspeed-Werte am ersten Tag aufgestellt.

Formel 1 Testfahrten Bahrain 2021, Topspeeds gesamt

Fahrer Team Motor km/h Tag
Nissany Williams Mercedes 330,1 1
Ricciardo McLaren Mercedes 329,9 1
Vettel Aston Martin Mercedes 329,2 1
Gasly AlphaTauri Honda 328,3 1
Verstappen Red Bull Honda 327,5 1
Norris McLaren Mercedes 327,2 1
Tsunoda AlphaTauri Honda 326,7 1
Raikkonen Alfa Romeo Ferrari 326,0 1
Stroll Aston Martin Mercedes 325,9 1
Leclerc Ferrari Ferrari 325,8 1
Ocon Alpine Renault 324,3 1
Giovinazzi Alfa Romeo Ferrari 322,6 1
Hamilton Mercedes Mercedes 322,6 1
Sainz Ferrari Ferrari 321,1 1
Schumacher Haas Ferrari 319,7 1
Mazepin Haas Ferrari 318,9 1
Latifi Williams Mercedes 318,6 2
Russell Williams Mercedes 318,1 3
Perez Red Bull Honda 316,0 2
Alonso Alpine Renault 312,4 3
Bottas Mercedes Mercedes 309,0 1

Deshalb haben wir eine zusätzliche Tabelle erstellt, die nur die Bestwerte von Tag 2 und Tag 3 beinhaltet. Diese Tabelle unterstreicht den Eindruck, dass AlphaTauri schon mit etwas mehr Honda-Power an der Kette fuhr - und das Mercedes-Werksteam noch nicht alle Karten aufgedeckt hat.

Wie immer gilt aber: Topspeed ist nicht alles. Ganz im Gegenteil: Eine gute Beschleunigung bringt mehr Rundenzeit als eine gute Endgeschwindigkeit. Bei den Power Units wird die Elektro-Leistung deshalb auch überwiegend in der Beschleunigungsphase eingesetzt.

Ferrari jedenfalls ist sich sicher, das große Speed-Defizit über den Winter aufgeholt zu haben. "Das ist eine Konsequenz aus Motor und Aerodynamik", erklärt Teamchef Mattia Binotto. "Die Geraden sind jetzt kein Nachteil mehr für uns."

Auch unsere liebste Disziplin, die Rennsimulation, kam beim Test zu kurz. Normalerweise versuchen alle Teams mit beiden Fahrern zumindest eine Rennsimulation beim Wintertest zu absolvieren. Beim Mini-Test in diesem Jahr haben wir - selbst mit Wohlwollen - nur neun richtige Rennsimulationen gesehen.

Mercedes hat sich den Dauerlauf leider komplett geschenkt, weshalb es keine richtigen Daten vom Weltmeister gibt. Longruns gab es, aber die sind von außen wenig aussagekräftig. Bei Rennsimulationen wird nicht nachgetankt. Deshalb fahren hier alle mit der gleichen Spritmenge.

Formel-1-Testfahrten Bahrain: Kaum Rennsimulationen

Bei Mercedes selbst weiß man aber ungefähr, wo man steht. Denn dort kann man normale Longruns hochrechnen. "Wir konnten bei der Balance mit mehr Sprit an Bord einige Fortschritte verzeichnen und das Auto verhielt sich berechenbarer. Aber wir können an den Daten erkennen, die wir über die letzten Tage gesammelt haben, dass wir bei der Rennpace noch nicht so schnell sind wie Red Bull", fürchtet Shovlin.

Bei Red Bull fuhr nur Sergio Perez eine Rennsimulation. Der Mexikaner erzielte die schnellste Durchschnittszeit aller Rennsimulationen. Der Vorsprung ist knapp, aber dafür fuhr Perez sein persönliches Rennen auch schon am Samstag. Die direkten Nachbarn im Ranking fuhren erst am Sonntag im Renntrimm.

Formel 1 Testfahrten Bahrain, Rennsimulationen

Fahrer Team Reifen, Besonderheiten Durchschntl. Zeit Tag
Perez Red Bull C2 - C3 - C2 1:36,724 2
Sainz Ferrari C4 - C2 - C2 1:36,760 3
Tsunoda AlphaTauri C3 - C2 - C2 Dreher (rausgerechnet) 1:36,918 3
Leclerc Ferrari C3 - C2 - C2 1:36,951 3
Räikkönen Alfa Romeo C3 - C2 - C2 1:37,116 3
Russell Williams C2 - C2 - C3 1:37,444 3
Schumacher Haas C3 - Rot - C3 - C2 nicht komplett 1:38,517 2
Giovinazzi Alfa Romeo C3 - C2 1:39,385 2
Mazepin Haas C3 - C2 Session zu ende, nicht komplett 1:40,558 2

Bleibt da noch die Zuverlässigkeit. Ungewöhnlich unzuverlässig zeigte sich ausgerechnet Mercedes. Dr. Marko kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: "Auch der zweite Mercedes, also der Aston Martin, hatte ähnliche Probleme auf der Getriebeseite." Das Werksteam verpasste fast einen halben Testtag wegen Getriebeproblemen. Aston Martin hatte zudem noch Probleme mit dem Mercedes-Motor. Die beiden Rennställe drehten die wenigsten Runden im gesamten Feld.

Bekannte Defekte beim Test

Team FR SA SO Gesamt Defekte
Mercedes 2 0 0 2 Getriebe, Spiegel
Red Bull 0 1 0 1 Motorabdeckung
McLaren 0 0 0 0
Aston Martin 2 1 1 4 2x Elektrik, Getriebe, Ladedruck
Alpine 0 0 0 0
Ferrari 1 0 1 2 Verbrennungsanomalie, Hydraulik
AlphaTauri 1 0 0 1 Benzinsystem
Alfa Romeo 0 0 0 0
Haas 1 0 0 1 Hydraulik
Williams 0 0 0 0

Allerdings galt es 2021 nicht unbedingt, nur Kilometer abzuspulen. Weil die mechanischen Komponenten größtenteils homologiert waren, sind sie fast identisch zum Vorjahr. Vielmehr ging es darum, viele verschiedene Daten zu sammeln. Dafür mussten die Teams die Autos oft umbauen. Red Bull und McLaren hatten quasi keinerlei technischen Probleme und landeten in der Rangordnung trotzdem nur auf den Plätzen sieben und acht.

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Auf Motorenseite gab es keine größeren Zuverlässigkeitsprobleme. Einzig und allein das Ladedruckproblem am Vettel-Aston und ein Sicherheitsstopp von Charles Leclercs Ferrari wurden notiert. Mercedes kosteten vor allem die beiden Getriebedefekte Kilometer, nicht die Power Unit.

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Auf Fahrer-Seite sieht es anders aus: Vor allem für Rookies und Teamwechsel galt es, aus den anderthalb Tagen im Auto so viel wie möglich zu machen. Bitter für Sebastian Vettel: Von allen Stammpiloten konnte ausgerechnet er die wenigsten Runden drehen. Nur 117 Mal umrundete er den Bahrain International Circuit. Pierre Gasly fuhr fast doppelt so viel.

Formel 1 2021: Wer ist Favorit?

Nun stellt sich die Frage: Wer ist Favorit? Mercedes sagt Red Bull, Red Bull sagt Mercedes. "Das ist ein sehr starkes, optimales Team und es sind 14 Tage bis zum ersten Rennen. Man kann davon ausgehen, dass diese Probleme weitgehend behoben sein werden", meint Marko. Die ersten Analysen der Teams zeigen jedenfalls, dass die beiden Erzfeinde wieder in einer eigenen Liga fahren werden. Wie jedes Jahr beenden wir die Testanalyse nach knapp 2000 Wörtern mit den weisen Worten von Johann Wolfgang von Goethe: "Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!"

Rückschlag für Vettel und Aston Martin vor Formel 1 Saisonstart: (18:11 Min.)