Dreimal in Folge hat das historisch so erfolgreiche Williams F1 Team nun bereits den letzten Rang in der Gesamtwertung der Formel 1 belegt. Dass George Russell und Nicholas Latifi das Team aus Grove in der F1-Saison 2021 von dieser Schmach befreien werden, mag angesichts stabiler Regeln mit weitgehend homologierten Boliden irrational erscheinen. Doch lässt Williams nichts unversucht. Nach den Formel-1-Testfahrten in Bahrain verriet Russell eine ungewöhnliche Strategie für 2021: Williams hat konstanten Leistungen abgeschworen.

„Wir haben die Route eingeschlagen, mehr Abtrieb zu haben. Auch wenn wir dann anfälliger sind, haben wir uns dazu entschlossen“, erklärte Russell nach seinem Einsatz im FW43B am Freitag auf Nachfragen zu einer extremen Windanfälligkeit des Boliden. Davon hatte der Brite selbst bei seinem Termin mit der Presse zuvor selbst berichtet. Bereits im vergangenen Jahr war das eine unangenehme Eigenschaft des FW43 - bei der B-Version fällt diese Russell zufolge nun noch ausgeprägter aus.

George Russell: Williams 2021 wie ein Jojo?

Wie Russell bereits andeutete, geschah das jedoch in gewissem Maß mit Absicht. Williams entschied sich deshalb für einen radikalen Ansatz mit viel Abtrieb, um unter gewissen Bedingungen und auf gewissen Strecken besonders stark auftrumpfen zu können - auch wenn das bei anderen Events große Probleme bereiten mag. „Es könnte sein, dass unsere Performance in diesem Jahr wie ein Jojo sein wird, je nach Wind“, sagte Russell deshalb.

Warum Williams sich dieses vermeintliche Laster auferlegt? Durch eine einfache WM-Rechnung. „Wenn wir eine konstante Pace haben wie im vergangenen Jahr, dann holen wir auch konstant keine Punkte“, erklärte Russell. „Du musst aber nur bei zwei Rennen Punkte holen und schon bist du in der WM Achter oder Neunter“, ergänzte der Brite mit Verweis auf die beiden Hauptkonkurrenten des Vorjahres. Russell: „Haas hatte vier Punkte, Alfa acht. Deshalb haben wir diese Entscheidung getroffen, die dann bei gewissen Rennen bessere Resultate liefern kann.“

Haas & Alfa als Vorbild: Zwei gute Ergebnisse reichen

Im Blick hat der Mercedes-Junior dabei zum Beispiel Imola. „Wenn wir auf eine Strecke kommen, auf der es ruhiger und etwas [vom Wind] abgeschlossener ist, können wir glänzen“, glaubt Russell. „Imola könnte dafür ganz gut sein.“

Das Problem an der Sache: Mit Alfa Romeo scheint sich ein Konkurrent klar nach vorne abgesetzt haben. Zu klar, um sogar an einem starken Williams-Tag außer Reichweite zu liegen? „Kimi sah heute sehr schnell aus. Das muss ich wirklich anerkennen. Sie sehen aktuell wie das überraschendste Team aus“, sagte Russell. „Aber wir wissen noch nicht genau, wo wir jetzt stehen. Aber Kimi sah echt sehr schnell aus …“

Die Hoffnung: Bedingungen wie bei den Testfahrten in Bahrain - an allen drei Tagen wehte der Wind fast durchgängig scharf - sind Gift für Williams. „Diese Bedingungen haben die schlechtesten Seiten des Autos betont“, sagte Russell. „Aber wir haben auch positive Dinge gesehen. Wenn es in manchen Kurven mal normaler war, war das Auto sehr konkurrenzfähig“, ergänzte der sechstschnellste Fahrer in der Endabrechnung aller drei Tage.

Formel-1-Testfahrten 2021: Schnellste Runden - Endstand

P. Fahrer Team Zeit Rückstand Reifen Tag
1 Verstappen Red Bull 1:28.960 C4 3
2 Tsunoda AlphaTauri 1:29.053 + 0.093 C5 3
3 Sainz Ferrari 1:29.611 + 0.651 C4 3
4 Räikkönen Alfa Romeo 1:29.766 + 0.806 C5 3
5 Hamilton Mercedes 1:30.025 + 1.065 C5 3
6 Russell Williams 1:30.117 + 1.157 C5 3
7 Ricciardo McLaren 1:30.144 + 1.184 C4 3
8 Perez Red Bull 1:30.187 + 1.227 C4 3
9 Bottas Mercedes 1:30.289 + 1.329 C5 2
10 Alonso Alpine 1:30.318 + 1.358 C4 3
11 Gasly AlphaTauri 1:30.413 + 1.453 C5 2
12 Stroll Aston Martin 1:30.460 + 1.500 C5 2
13 Leclerc Ferrari 1:30.486 + 1.526 C3 3
14 Norris McLaren 1:30.586 + 1.626 C4 2
15 Giovinazzi Alfa Romeo 1:30.760 + 1.800 C5 2
16 Ocon Alpine 1:31.146 + 2.186 C4 1
17 Latifi Williams 1:31.672 + 2.712 C4 2
18 Mazepin Haas 1:31.718 + 2.758 C4 3
19 Schumacher Haas 1:32.053 + 3.093 C3 3
20 Vettel Aston Martin 1:33.742 + 4.782 C3T 1
21 Nissany Williams 1:34.789 + 5.829 C3 1

Dass dieses Resultat nicht die wahre Performance spiegeln wird - auch nicht in Imola -, weiß Russell genau. Nur eine Zehntel hinter Lewis Hamilton im Mercedes wird er wohl kaum jemals liegen. „Die Zeiten sind irrelevant. Bei einer Zehntel hinter Hamilton kann ich sagen, dass das in zwei Wochen sicher nicht so sein wird“, witzelte Russell. „Andere Teams haben da noch Sandsäcke an Bord gehabt.“

Russell jubelt: 850 Kilometer noch nie geschafft

Williams selbst legte diese hingegen bereits ab. „Es war kein voller Quali-Trimm, wir hatten aber auch keine Sandsäcke an Bord“, kommentierte Russell seine schnellste Rundenzeit, erzielt auf dem weichsten Reifen. Sehr viel relevanter und wichtiger sei die immense Laufleistung und Problemlosigkeit bei Williams. „Wir haben eine unfassbare Rundenzahl geschafft und hatten keine Zuverlässigkeitsprobleme“, jubelte Russell. „Ich bin heute 850 Kilometer gefahren. Das habe ich noch nie an einem Tag geschafft, in keinem Rennauto. Das ist heftig.“

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Damit haben sich rückblickend auch die Sorgen des Briten erledigt, 2021 nun einen einzigen Testtag zugesprochen bekommen zu haben. „Für mich persönlich war das jetzt genug. Aber ich hatte auch sehr viel Glück, einen so sauberen Tag zu haben. Hätte ich nur ein Getriebeproblem gehabt, wäre es aus gewesen und nur ein halber Tag.“ Stattdessen fuhr Russell allein am Freitag mehr Runden als etwa Hamilton oder Bottas an allen Testtagen zusammen.

"To finish first, first you have to finish"

Die Zuverlässigkeit freut Russell auch deshalb umso mehr, weil sie den zweiten Teil der Williams-Strategie für 2021 bildet. „To finish first, first you have to finish“ („Wenn du Erster werden willst, musst du erst einmal ins Ziel kommen“), zitierte Russell eine alte Weisheit Ron Dennis’. „Wir haben letztes Jahr in Österreich gesehen, dass nur elf Autos im Ziel waren. Das muss nicht wieder der Fall sein, aber wenn es so kommt, dann sind wir in einer guten Position.“

Dennoch könne Williams Stunde auch später schlagen als in den ersten paar Rennen. In Portimao oder Ungarn sei man im Vorjahr etwa auch gut gewesen, erinnerte Russell. Die Windanfälligkeit des FW43B - so vorhergesehen und irgendwie erwünscht sie auch sei - müsse man nun dennoch etwas begrenzen, so Russell weiter. „Ich habe schon die Aero-Abteilung angerufen, um da mehr Details zu erhalten“, berichtete der Brite.

Windanfälliger Williams: Russell ruft Aero-Abteilung an

„Wir wussten es schon vorab und haben hier bestätigt bekommen, dass unser Auto sehr windanfällig ist. Irgendwie ist das auch positiv. So können wir das jetzt analysieren“, sagte Russell. „Wären die Bedingungen perfekt gewesen, würde wir hier jetzt nur voller Optimismus sitzen.“ Positiv auch: Wenn alles passt, dann sei der Williams schnell, so Russell. „Wenn wir auf Strecken kommen, auf denen weniger Wind geht und es mehr Highspeed gibt“, erklärte Russell. Besonders bei geringer Geschwindigkeit würde die Windanfälligkeit nämlich stören.

„Positiv ist, dass es ein sehr schnelles Rennauto ist, aber das Problem ist, dass es außerhalb unserer Kontrolle liegt, wann wir glänzen können. Es kommt darauf an, was der Wind macht. Wäre der hier bei diesem Test neutraler gewesen, wären die Rundenzeiten viel schneller gewesen“, versicherte Russell. Noch schlimmer als in Bahrain könne es zudem kaum noch werden. „Was wir beim Test gesehen haben, war so ziemlich das Schlechteste, was wir dieses Jahr erwarten können.“