Die WM mag in der Formel-1-Saison 2020 längst gelaufen sein, aber dieses Wochenende in Bahrain garantiert Spektakel pur: Der Außenkurs, der beim Sakhir GP befahren wird, sorgt aufgrund seiner Kürze für enorme Action. "Ich glaube, das kann auch gefährlich werden", meinte Max Verstappen sogar nach den ersten Trainings.

George Russell fuhr im 1. Freien Training in 54,546 Sekunden die kürzeste Rundenzeit, die je in der Formel 1 gefahren wurde. Er brach damit einen Rekord von Niki Lauda aus dem Jahr 1974. Das Problem: In der modernen Formel 1 sind solch kurze Rundenzeiten nicht unbedenklich.

Bahrain-Außenkurs provoziert Rush-Hour in der Formel 1

Das Problem des Verkehrs wirkt in der modernen Formel 1 hausgemacht. Aber letztendlich ist es die Technik, die die Fahrer dazu zwingt, auf ihrer Outlap extrem langsam zu fahren. "Wir müssen die Reifen abkühlen", erklärt Sebastian Vettel. Dazu gilt es auch noch, die Batterie zu laden. Die enormen Geschwindigkeitsdifferenzen können zur Gefahr werden.

Sie werden aber definitiv für reichlich Spektakel sorgen, das war im Qualifying der Formel 2 schon zu sehen. Vor allem Q1, wenn 20 Autos gleichzeitig um jeden Meter der 3,543 Kilometer Asphalt kämpfen.

Durch die Kürze der Strecke ist das Feld auch viel enger zusammen. Nicholas Latifi, der in einer normalen Session wohl das Schlusslicht bilden würde, fuhr lediglich 1,071 Sekunden langsamer als Teamkollege George Russell - der an diesem Wochenende allerdings im Mercedes sitzt.

Russell langsamer als Bottas und Verstappen

Das ganze Feld liegt auf dem kurzen Kurs innerhalb rund einer Sekunde. Jeder noch so kleine Fehler kann hier gleich mehrere Startreihen kosten. Die Fehlerquote wurde im 2. Freien Training künstlich erhöht: Die Rennleitung überwachte am Ausgang von Kurve acht plötzlich die Streckenbegrenzung. Selbst wenn manche Piloten ihre Bestzeit im 1. Training fuhren, die Bedingungen waren am späten Abend auch deshalb repräsentativer. Deshalb werden nur die FP2-Zeiten zur Analyse herangezogen.

21 Rundenzeiten wurden gestrichen. Größter Übertäter mit sechs Vergehen war Valtteri Bottas. Der Finne verlor so seine Freitagsbestzeit. Der Sensations-Schnellste Russell sah das Ergebnis deshalb nüchtern: "Ich glaube, dass meine Rundenzeiten derzeit etwas täuschen und nicht die wahre Pace darstellen. Realistisch betrachtet war Valtteri drei Zehntel schneller. Durch das Verlassen der Strecke hat er vielleicht eine halbe Zehntel gewonnen."

Theoretisch schnellste Runden im 2. Training

Fahrer Zeit Rückstand S1 S2 S3
Bottas 54,447 18,953 19,078 16,416
Verstappen 54,679 0,232 18,960 19,135 16,584
Russell 54,713 0,266 19,048 19,112 16,553
Ocon 54,860 0,413 18,859 19,449 16,552
Perez 54,866 0,419 19,061 19,274 16,531
Gasly 54,875 0,428 18,904 19,474 16,497
Kvyat 54,916 0,469 18,957 19,392 16,567
Albon 55,036 0,589 19,046 19,309 16,681
Stroll 55,039 0,592 19,124 19,390 16,525
Ricciardo 55,124 0,677 19,122 19,470 16,532
Sainz 55,188 0,741 18,912 19,582 16,694
Giovinazzi 55,409 0,962 19,121 19,669 16,619
Raikkonen 55,465 1,018 19,127 19,636 16,702
Magnussen 55,585 1,138 19,148 19,545 16,892
Vettel 55,624 1,177 19,019 19,837 16,768
Norris 55,710 1,263 19,246 19,594 16,870
Latifi 55,784 1,337 19,260 19,841 16,683
Fittipaldi 56,027 1,580 19,405 19,840 16,782
Aitken 56,046 1,599 19,289 19,998 16,759

Mercedes sieht Nachholbedarf

Trotzdem: George Russell hat es zusammenbekommen. An seinem ersten richtigen Arbeitstag im Silberpfeil. In seiner schnellsten Runde reihte er auch alle persönlichen Sektorbestzeiten aneinander. Hätte Verstappen seine Runde ideal getroffen, wäre auch er vor dem Briten - wenn auch nicht so deutlich wie Bottas.

Russell fuhr ein starkes Debüt im Mercedes, das Ergebnis aber schmeichelte. Im 1. Freien Training war Teamkollege Bottas chancenlos, weil er sich auf seiner ersten Runde den Unterboden auf den aggressiven Kerbs beschädigte hatte. "Es war also nicht unbedingt mein bester Tag, aber die Longruns waren konstant", bilanziert Bottas.

Anders hingegen bei Russell: "Im zweiten Training hatte ich mit viel Benzin an Bord etwas zu kämpfen und das wird am Sonntag entscheidend sein." Generell war Mercedes im Dauerlauf nicht gerade zufrieden. "Unsere Longruns waren heute nicht so gut", meint Chefingenieur Andrew Shovlin.

Umgekehrte Welt wie so oft bei Red Bull. "Wir haben bei der Balance noch nicht das richtige Setup gefunden, vor allem auf eine Runde. Die Longruns waren aber definitiv eine Verbesserung und sahen heute Abend ziemlich gut aus", so Verstappen.

Nach vielen verrückten Freitag, die entweder komplett ausfielen, gar nicht angesetzt waren oder mehrfach unterbrochen wurden, gab es beim Sakhir GP endlich wieder richtig viele Longruns. Die kurze Runde sorgt dafür, dass es so viele Daten wie noch nie gibt.

Red Bull dominiert auf Longruns

Die Soft-Reifen wurden von allen Piloten recht exzessiv getestet. Tatsächlich hatte hier Red Bull die Nase klar vorne. Verstappen fuhr in einer Liga für sich. Sogar Alexander Albon konnte die Konkurrenz hinter sich lassen. Valtteri Bottas fiel sogar noch hinter den Renault von Esteban Ocon zurück. George Russel findet sich gar nur im Mittelfeld wieder

Die Frage ist, ob Mercedes die Soft-Reifen im Rennen überhaupt braucht. Am ersten Bahrain-Wochenende qualifizierte sich das gesamte Feld auf Medium für Q2. Die kurze Streckenvariante ist aber nicht ganz so schlimm zu den Reifen. Sie beansprucht Vorder- und Hinterreifen etwas gleichmäßiger. Zwar ist der Hinterreifen bei der Traktion noch immer am meisten gefragt, die Kurven vier und neun sind aber deutlich schneller. Dazu fehlen die starken Beschleunigungsabschnitte der großen Strecke am Ausgang von Kurve acht und zehn.

Pirelli rechnet trotzdem noch mit einer Zweistopp-Strategie. Weil die Anzahl der Stopps für die meisten Teams gleichbleibt, der Reifenabbau aber weniger stark ist, sind die Softs möglicherweise nicht ganz so abwegig im Rennen. Dazu kommen die engen Abstände, die es möglicherweise nicht erlauben, sich auf Medium für Q3 zu qualifizieren. Auch wenn das Reifen-Delta bei lediglich 0,3 Sekunden liegt.

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Soft

Fahrer Reifenalter Stintlänge Zeit
Verstappen 20 10 0:58,278
Albon 20 12 0:58,462
Ocon 20 12 0:58,531
Bottas 20 8 0:58,560
Stroll 14 6 0:58,597
Kvyat 24 12 0:58,647
Perez 21 11 0:58,658
Gasly 28 17 0:58,808
Sainz 14 5 0:58,889
Ricciardo 30 22 0:58,909
Russell 17 6 0:58,980
Magnussen 24 13 0:59,148
Latifi 24 12 0:59,290
Räikkönen 22 13 0:59,429
Giovinazzi 25 15 0:59,447
Aitken 27 15 0:59,530
Fittipaldi 23 12 0:59,635

Im Gegensatz zu den meisten anderen Teams konzentrierte sich Mercedes im 2. Freien Training nach den Soft-Runs auf die harten Reifen. Darauf gibt es keine relevanten Vergleichsdaten. Auf den Medium setzte sich das Bild der Softs fort: Red Bull ist im Dauerlauf eine Macht, vor allem Verstappen. Dahinter macht Renault den besten Eindruck, AlphaTauri fährt am Freitag meist mit etwas aggressiveren Einstellungen.

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Medium

Fahrer Reifenalter Stintlänge Zeit
Verstappen 23 13 0:57,814
Albon 22 11 0:58,079
Gasly 19 6 0:58,159
Ocon 30 19 0:58,198
Ricciardo 17 8 0:58,387
Kvyat 34 16 0:58,405
Perez 31 19 0:58,470
Stroll 30 21 0:58,680
Giovinazzi 32 18 0:58,830
Sainz 22 8 0:58,985
Aitken 31 18 0:59,032
Magnussen 25 12 0:59,507
Vettel 30 14 0:59,552
Fittipaldi 33 13 0:59,974

Formel 1, Sakhir GP - Longruns 2. Freies Training auf Hard

Fahrer Reifenalter Stintlänge Zeit
Bottas 35 16 0:58,295
Russell 31 16 0:58,316
Räikkönen 32 19 0:58,944
Latifi 29 17 0:59,268

Ferrari kämpft um Anschluss ans Verfolgerfeld

Bei all der Spannung mit kurzer Strecke, Russells Sensations-Debüt und dem Kampf zwischen Mercedes und Red Bull kam Ferrari noch gar nicht vor. Charles Leclerc konnte nur zwei Runden fahren und dabei kein Zeit setzen, weil seine Antriebswelle versagte. Ferrari konnte das Problem nicht während der Session beheben.

Sebastian Vettel machte im 2. Training mit mehreren Drehern auf sich aufmerksam, nicht aber mit Rundenzeiten. Die Dreher sorgten auch dafür, dass Longruns ausfallen mussten - die Reifen waren hinüber.

Insgesamt sieht es aber gar nicht so schlecht für die Scuderia aus. "Denn wir haben im 2. Training etwas versucht. Wir haben etwas sehr Aggressives probiert und das Auto war grauenhaft. Die erste Session war okay", so Vettel, der am Nachmittag nicht über Rang 16 hinauskam. Im 1. Freien Training, als es für Vettel und Leclerc noch nach Plan lief, fuhren beide in die Top-10. Vettel wurde Achter, Leclerc Zehnter.

Fazit: Auf eine Runde ist Mercedes Favorit - aber nicht unangefochten. Die kurze Runde kann durchaus für Überraschungen sorgen. Im Dauerlauf sieht Red Bull noch stärker aus als noch vor einer Woche. Dazu fehlt bei Mercedes Lewis Hamilton. Red Bull könnte die Sensation gelingen - aber irgendwie muss Verstappen wohl an den Silberpfeilen vorbeikommen. Auf der Power-Strecke könnte das schwierig werden.