Valtteri Bottas vor Lewis Hamilton und hinter den beiden Mercedes-Piloten lange nichts. Das war nicht das Ergebnis, auf das die Formel-1-Fans beim Saisonauftakt 2020 in Österreich gewartet hatten. Die Silberpfeile fahren in ihrer eigenen Liga - zumindest auf eine Runde. Denn für das Rennen gibt es durchaus noch Hoffnung, zumindest für Max Verstappen im Red Bull. Für Sebastian Vettel und Ferrari geht es nur noch um Schadensbegrenzung.

Wer oder was soll Mercedes in Spielberg stoppen? Die schwarzen Silberpfeile haben auf dem Red Bull Ring jede einzelne Session eindrucksvoll dominiert und haben auf eine schnelle Runde auf der kürzesten Strecke des Jahres eine satte halbe Sekunde Vorsprung. Trotzdem scheint die Lage nicht ganz aussichtslos für den neutralen Formel-1-Fan.

An einen Sieg aus eigener Kraft glaubt aber auch Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko nicht unbedingt. "Es müssen paar Sachen zusammenspielen", sagt der Hausherr und fügt sogleich an: "Unsere Reifen sind ein Joker."

Red Bull erkennt Ernst der Lage: Reifen-Poker mit Verstappen

Weil Red Bull früh erkannte, dass Mercedes unter normalen Umständen nicht zu besiegen ist, setzten die Bullen bei Verstappen auf eine alternative Reifenstrategie. Als einziger Pilot qualifizierte er sich im Q2 auf den Medium-Reifen. Ein riskantes Unterfangen, das am Ende aber gerade so gelang.

Beide Mercedes-Piloten gehen mit den Soft-Pneus an den Start. "Max Verstappens andere Reifen-Strategie war clever", gesteht Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. "Er wird morgen im Rennen viel länger auf den Medium-Reifen fahren können. Auch wir haben über eine solche Strategie nachgedacht, aber es besteht das Risiko, am Start Zeit zu verlieren."

Wer das schnellste Auto hat, will am Start nicht das Risiko eingehen, Track-Position zu verlieren. Red Bull kann das Risiko eingehen. Ob sich die Strategie am Ende auszahlt, ist fraglich, denn Mercedes plant keinen Extra-Stopp ein, wie Wolff verrät: "Wir glauben trotzdem, dass hier eine Ein-Stopp-Strategie möglich ist, dann stellt der härtere Reifen nicht unbedingt einen Vorteil dar."

Red Bull baut auf alte Stärke

Die Longruns vom Freitag untermauern eigentlich Mercedes' Favoritenrolle. Marko gibt sich trotzdem optimistisch: "Mercedes kann diese Zeiten nicht konstant fahren. Und unsere Fahrwerksprobleme sind im Longrun geringer."

Red Bull hat ausgerechnet auf der Heimstrecke die richtige Abstimmung noch nicht gefunden. Der RB16 ist mit leerem Tank noch zu nervös. "Mit vollem Auto ist das weniger ein Problem", berichtet Marko.

Auch wenn Red Bulls Longruns vom Freitag nicht überragend waren, so fürchtet Pole-Setter Bottas: "Im Rennen ist es eine andere Geschichte und wir haben schon oft gesehen, dass Red Bull ein gutes Rennauto hat. Und wir konnten bislang keinen Longrun von mehr als zehn Runden vergleichen."

Dabei spielt vor allem die Vergangenheit auf dem Red Bull eine wichtige Rolle. 2018 und 2019 reiste Red Bull nicht als Favorit an und tat sich bis zum Sonntag ebenfalls schwer. Beide Male holte sich Verstappen am Ende den Sieg. Teilweise, weil die Konkurrenz enorme Probleme mit den Reifen bekam, teilweise weil die Hitze Mercedes mehr zusetzte.

Wetter-Sorgen: Schwarzer Mercedes als Risiko?

Am Sonntag sollen die Temperaturen am Red Bull Ring erneut steigen. Am Asphalt wurden während des Qualifyings teilweise 50 Grad gemessen. Die Umgebungstemperatur hielt sich mit 25 Grad noch in Grenzen.

Trotzdem zittert Mercedes, obwohl man über den Winter den Fokus auf die Hitzeanfälligkeit des eigenen Boliden gelegt hat. "Die Temperaturen machen die Aufgabe nicht leichter", meint Wolff. Dabei könnte auch die neue Lackierung eine Rolle spielen: Mercedes lackierte den Silberpfeil vor dem Saisonstart schwarz, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen.

Je dunkler ein Gegenstand, desto mehr Hitze absorbiert er eigentlich bei Sonneneinstrahlung. Bei Mercedes ist man sich noch nicht ganz sicher, wie sich das auswirkt: "Wir haben Berechnungen gemacht, aber wenn es morgen 30 Grad hat, dann sehen wir, ob unsere Simulationen mit dem silbernen Auto ein anderes Ergebnis lieferten als das Ergebnis auf der Strecke mit einem schwarzen Auto. Es ist eine Unbekannte für uns", gesteht Wolff.

Ferrari greift nach dem letzten Strohhalm: Rennpace als Rettung

Hinter Mercedes und Red Bull ist das Feld bunt gemischt. Zwischen McLaren, Racing Point, Renault und Ferrari passte teilweise kein Blatt Papier. Nach dem Debakel im Qualifying mit Platz sieben für Charles Leclerc und Startplatz elf für Sebastian Vettel sprechen die Aussagen der Piloten Bände. "Siebter ist das Beste, was heute drinnen war", sagte etwa Leclerc.

Mittelfeld scheint das 'new normal' für Ferrari zu sein. Sebastian Vettel macht unter den Ferrari-Vertretern noch den optimistischen Eindruck: "Wir hatten heute sicherlich nicht so viel zu bieten wie andere, aber unsere Rennpace sollte konkurrenzfähiger sein." Am Freitag sah man davon allerdings nicht viel. Deshalb hält sich auch Teamchef Mattia Binotto zurück: "Es ist sinnlos, vorherzusagen, wo wir landen können. Wir müssen einfach zusehen, dass wir so viele Punkte wie möglich holen."

Formel 1 Österreich GP 2020, Longruns im 2. Training

Longruns auf Soft-Reifen

POS Fahrer Zeit Stint-Länge Reifen-Alter
1 Bottas 1:08,716 8 17
2 Vettel* 1:08,800 6 17
3 Hamilton 1:09,005 10 20
4 Verstappen 1:09,264 9 15
5 Perez 1:09,315 12 22
6 Stroll 1:09,472 11 21
7 Sainz 1:09,512 11 16
8 Ricciardo 1:09,582 7 14
9 Norris 1:09,585 8 16
10 Ocon 1:09,633 13 21
11 Leclerc 1:09,685 15 25
12 Albon 1:09,703 9 21
13 Gasly 1:09,728 11 20
14 Giovinazzi 1:09,772 12 22
15 Kvyat 1:09,987 11 27
16 Räikkönen 1:10,028 12 24
17 Grosjean 1:10,089 17 26
18 Russell 1:10,185 3 14
19 Magnussen 1:10,504 9 19
20 Latifi 1:10,938 2 14

*Sebastian Vettel fuhr als einziger Pilot am Ende der Session auf den Soft-Reifen

Longruns auf Medium-Reifen

POS Fahrer Zeit Runden Reifen-Alter
1 Hamilton 1:08,261 7 18
2 Perez 1:08,831 12 26
3 Verstappen 1:08,964 16 26
4 Stroll 1:09,113 14 28
5 Bottas 1:09,131 5 19
6 Ricciardo 1:09,209 13 22
7 Albon 1:09,407 14 26
8 Norris 1:09,476 7 22
9 Giovinazzi 1:09,567 15 27
10 Räikkönen 1:09,649 9 20
11 Russell 1:09,862 13 26
12 Magnussen 1:10,057 11 25

Longruns auf Hard-Reifen

POS Fahrer Zeit Runden Reifen-Alter
1 Leclerc 1:09,013 7 21
2 Ocon 1:09,454 9 21
3 Vettel* 1:09,688 19 31
4 Gasly 1:09,800 17 44
5 Grosjean 1:09,830 5 24
6 Latifi 1:10,702 22 31