Acht Tage Barcelona, keine einzige Wolke am Himmel. Die Wintertests zur Formel-1-Saison 2019 waren ein voller Erfolg. Nach dem großen Reinfall in der Vorsaison zeigte sich das spanische Wetter gnädig.

Das Gute: Nicht nur die Teams konnten jede Menge Daten sammeln, auch wir. 8.773 Runden drehten die Piloten an acht Testtagen, das entspricht mehr als 130 Renndistanzen. 26.319 Sektorzeiten und Geschwindigkeitswerte, die wir in die Motorsport-Magazin.com-Analyse einspeisen konnten. Herausgekommen ist ein erstes realistisches Bild des Kräfteverhältnisses.

Wie immer gilt bei Testfahrten: Daten sind mit Vorsicht zu genießen. Doch nach Testwoche zwei gibt es nicht nur mehr, sondern auch qualitativ bessere Daten als nach Woche eins. Jedes Team spult ein individuelles Testprogramm ab, aber irgendwann geht jedes Team auf Renn- und Qualifying-Simulationen.

Beginnen wir bei den Qualifying-Simulationen. Hier gibt es zweieinhalb Variablen, die wir nicht kennen: Spritmenge, Motormodus - vor allem, ob die Batterie komplett entladen wird - und Reifen. Reifen, weil nicht alle Zeiten auf den gleichen Mischungen gefahren wurden. Die Delta-Zeiten, die Pirelli nennt, sind Mittelwerte. Die einzelnen Faktoren können sich aufheben - sie können sich aber auch addieren - deshalb ist auch diese Tabelle noch kein Qualifying-Ergebnis.

Am Freitag sorgten Sebastian Vettel und Lewis Hamilton schon für den ersten Showdown. Der Ferrari-Pilot legte mit einer Bestzeit vor. Vettel fuhr dabei nur 0,010 Sekunden schneller als sein Teamkollege Charles Leclerc am Vortag. Doch dann schlug Mercedes plötzlich zu: Hamilton sortierte sich nur 0,003 Sekunden hinter Vettel ein.

POS Fahrer Team Zeit Reifen Korr. Zeit Rückstand
1 Lewis Hamilton Mercedes 1:18,097 C2 1:16,797
2 Sebastian Vettel Ferrari 1:16,221 C5 1:16,821 0,024
3 Charles Leclerc Ferrari 1:16,231 C5 1:16,831 0,034
4 Max Verstappen Red Bull 1:17,709 C3 1:17,109 0,312
5 Pierre Gasly Red Bull 1:17,715 C3 1:17,115 0,318
6 Carlos Sainz McLaren 1:17,144 C4 1:17,144 0,347
7 Valtteri Bottas Mercedes 1:16,561 C5 1:17,161 0,364
8 Nico Hulkenberg Renault 1:16,843 C5 1:17,443 0,646
9 Alexander Albon Toro Rosso 1:16,882 C5 1:17,482 0,685
10 Daniil Kvyat Toro Rosso 1:16,898 C5 1:17,498 0,701
11 Kevin Magnussen Haas 1:18,199 C3 1:17,599 0,802
12 Romain Grosjean Haas 1:17,076 C5 1:17,676 0,879
13 Lando Norris McLaren 1:17,084 C5 1:17,684 0,887
14 Daniel Ricciardo Renault 1:17,114 C5 1:17,714 0,917
15 Kimi Raikkonen Alfa Romeo 1:17,239 C5 1:17,839 1,042
16 Antonio Giovinazzi Alfa Romeo 1:18,511 C3 1:17,911 1,114
17 Lance Stroll Racing Point 1:17,556 C5 1:18,156 1,359
18 Sergio Perez Racing Point 1:17,791 C5 1:18,391 1,594
19 George Russell Williams 1:18,130 C5 1:18,730 1,933
20 Pietro Fittipaldi Haas 1:19,249 C4 1:19,249 2,452
21 Robert Kubica Williams 1:18,993 C5 1:19,593 2,796

Doch Hamilton legte noch eine weitere spektakuläre Runde hin. 1:18,097 Minuten fuhr er - auf den C2-Reifen. Die absolut schnellsten Runden wurden allesamt auf den C5-Reifen gefahren. Rechnet man die Zeit anhand der von Pirelli gemessenen Delta-Zeiten um, setzt sich plötzlich Hamilton an die Spitze. Mit 0,024 Sekunden Vorsprung auf Vettel.

So eng geht es schon beim Test zu. Dabei hatte Lewis Hamilton wenige Stunden vor seiner Bestzeit noch gesagt, Mercedes würde eine halbe Sekunde auf Ferrari fehlen. Das mag nach dem ersten Tests gestimmt haben, doch Mercedes brachte ein fast komplett neues Auto zum zweiten Test.

Die Fahrer bestätigten selbst, dass der überarbeitete F1 W10 deutlich besser sei. Ferrari hingegen legte zwischen den Tests kaum nach. Trotzdem bleibt die Frage, wie viele Benzin die Teams noch im Tank hatten.

Hinter Ferrari und Mercedes klafft schon eine kleine Lücke. Drei Zehntel fehlen Red Bull auf die Bestzeit. Allerdings konnte Max Verstappen nicht mehr richtig angasen, weil ihm Pierre Gasly am vorletzten Testtag einen Bärendienst erwies. Nach dem Unfall des Franzosen war der letzte Testtag für Red Bull fast wertlos. Bei Red Bull darf man besonders gespannt sein, was in Melbourne noch an Auto kommt. Das Team hat bereits Updates angekündigt.

Überraschend nah konnte sich sich Carlos Sainz im McLaren an die Top-Teams heranfahren. Der Spanier ist allerdings der einzige Pilot, der mit den C4-Reifen in die Wertung eingeht. Das beschönigt das ganze etwas. Der C5 bringt zwar theoretisch noch etwa 0,6 Sekunden, ist aber nicht für Barcelona gemacht. Am Ende der Runde baut der weichste Reifen schon etwas ab. Sainz' Zeit ist deshalb mit noch etwas mehr Vorsicht zu genießen.

Dahinter geht es einmal mehr brutal eng zu im Mittelfeld. So eng, dass man von Rang vier bis Rang acht keine klare Reihenfolge ausgeben kann. McLaren, Renault, Haas, Alfa und Toro Rosso kämpfen derzeit um den Titel Best of the Rest.

Dahinter befindet sich derzeit Racing Point. Das ehemalige Force India blieb beim Test recht blass. Doch Technik-Direktor Andy Green beruhigte stets: "Alles läuft nach Plan. Wir sind hier nur mit einem Testträger gefahren, in Melbourne kommt ein großes Paket."

Ein solch großes Paket wird bei Williams nicht kommen. Technik-Chef Paddy Lowe sprach gegenüber Motorsport-Magazin.com eher von konstanten kleinen Updates. Das sind keine guten Nachrichten, scheint der Rennstall aus Grove doch zum zweiten Mal in Folge hinterherzufahren.

Die Rennsimulationen zeigen ein ähnliches Bild. Leider gibt es hier aus unterschiedlichen Gründen weniger valide Daten. Sebastian Vettel blieb auf seiner Rennsimulation nach dem zweiten Stopp liegen, Red Bull brachte es nach Verstappens Ausritt und Gaslys Unfall gar auf keine einzige richtige Rennsimulation. Bei Force India konnten wir ebenfalls keine komplette Rennsimulation beobachten.

Aus diesem Grund haben wir eine zweite Wertung eingeführt. Neben den kompletten Rennsimulationen haben wir auch noch Rennsimulationen bis Runde 44 gewertet. Bis dahin ist jedes Team mindestens einmal gekommen.

Komplette Rennsimulationen

POS Fahrer Team Rundenzeit Rückstand
1 Leclerc Ferrari 1:22,178
2 Bottas Mercedes 1:22,511 00,333
3 Magnussen Haas 1:22,667 00,489
4 Hamilton Mercedes 1:22,772 00,594
5 Sainz McLaren 1:22,786 00,607
6 Räikkönen Alfa 1:23,534 01,355
7 Kvyat Toro Rosso 1:24,081 01,903
8 Ricciardo Renault 1:24,507 02,329
9 Russell Williams 1:25,426 03,248

Während die schnellsten Runden nahezu alle bei idealen Bedingungen gedreht wurden, ist das bei den Rennsimulationen schwieriger. Oftmals gab es Rot-Unterbrechungen. Daniel Ricciardo beispielsweise spulte seine 66 Runden am Vormittag ab, als es deutlich kühler war.

Der Renault-Pilot hatte damit ähnliche Probleme wie Lewis Hamilton: Der Weltmeister stoppte bei seiner Rennsimulation gleich vier Mal. Graining vorne links sorgte bei ihm für wenig Freude am Fahren. "Das könnte ein zentraler Punkt des gesamten Jahres für alle werden", meint Technik-Direktor James Allison.

Pirelli widerspricht: Die verhältnismäßig kühlen Asphalttemperaturen verstärken das Graining. Am nächsten Tag lief es bei den Silberpfeilen auch schon viel besser. Valtteri Bottas begnügte sich mit zwei Stopps, so wie die meisten anderen auch. "Anders als gestern, als wir die Reifen nicht am Leben halten konnten, legten wir heute in allen drei Stints ein gutes Reifenverhalten an den Tag", freute sich Allison.

Das macht es insgesamt schwierig, einen ersten virtuellen Rennsieger zu küren. Unter normalen Bedingungen ist Hamilton schlicht schneller einzuschätzen als Bottas. Bottas fehlten auf die schnellste Rennsimulation von Charles Leclerc rund drei Zehntelsekunden pro Runde.

Tests 2019: So liefen die Rennsimulationen in Barcelona: (07:11 Min.)

Doch was könnte Hamilton wirklich? Und was könnte Vettel wirklich? Im Fall von Sebastian Vettel gibt es immerhin einen guten direkten Vergleich. Der Deutsche musste seine Rennsimulation erst direkt nach seinem zweiten Stopp beenden. Bis dahin war er fast auf die Tausendstel gleichauf mit Leclerc.

Einen starken Eindruck machte auch Haas. Kevin Magnussen verlor nur knapp eine halbe Sekunde pro Runde. Auch Carlos Sainz im McLaren fehlte nicht viel mehr. Dahinter wird die Lücke auf Alfa und Toro Rosso etwas größer. Komplett abgeschlagen auch hier: Williams.

Rennsimulationen bis Runde 44

POS Fahrer Team Rundenzeit
1 Leclerc Ferrari 1:22,733
2 Verstappen Red Bull 1:23,096 00,363
3 Hamilton Mercedes 1:23,162 00,429
4 Bottas Mercedes 1:23,200 00,467
5 Magnussen Haas 1:23,305 00,572
6 Sainz McLaren 1:23,309 00,576
7 Räikkönen Alfa 1:23,682 00,949
8 Perez Force India 1:23,790 01,057
9 Kvyat Toro Rosso 1:24,148 01,415
10 Ricciardo Renault 1:25,082 02,349
11 Russell Williams 1:26,020 03,287

Betrachtet man die Sekundär-Wertung, schiebt sich Red Bull noch vorne rein. Max Verstappen fuhr bis zu seinem Abbruch ähnlich schnell wie die beiden Mercedes, aber deutlich langsamer als Leclerc und Vettel. Der Racing Point sortierte sich bei Alfa und Toro Rosso ein.

Wer geht nun also als Favorit in den Saisonstart? Es ist wohl Ferrari, wenn auch nicht so deutlich, wie es ursprünglich schien. Warum? Der letzte Sektor ist ein kleiner Indikator für Gewicht. In der Rennsimulation lagen Mercedes und Ferrari hier gleichauf. Auf eine schnelle Runde war Hamilton etwas schneller.

Der Mittelsektor hingegen war immer klar in Ferrari-Hand. Die Scuderia dominierte hier im Renn- und im Qualifying-Trimm. Es ist der Sektor, in dem ein ausgewogenes Auto am meisten zählt. Der letzte Sektor besteht fast nur aus langsamen Kurven, der erste Sektor besteht fast nur noch aus Vollgas.

Der Ferrari war in den schnellen und mittelschnellen Kurven im Mittelsektor überlegen. Im Renntrimm war Leclerc hier eine halbe Sekunde schneller als Bottas und Hamilton - und übrigens auch als Verstappen.

Doch Teamchef Mattia Binotto warnt: "Ja, wir hatten hier ein perfekt ausbalanciertes Auto. Das war klar unsere Stärke. Aber nur weil das hier in Barcelona so ist, heißt das noch lange nicht, dass es überall der Fall sein wird."

Und dann gibt es noch eine kleine Einschränkung für alle Ferrari-Fans: Die Zuverlässigkeit. Lief die erste Woche noch perfekt, gab es in Woche zwei gleich drei Probleme. Erst ein Defekt am Kühlsystem, dann der mysteriöse Technik-Defekt, der zu Vettels Unfall führte und am letzten Tag schließlich noch ein Elektronik-Problem.

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Trotzdem fuhr Ferrari über beide Tests hinweg die zweitmeisten Runden. Nur Mercedes war besser. Red Bulls Kilometer-Defizit ist nur auf den ersten Blick dramatisch: Schließlich war es nicht die Technik, die für Probleme sorgte. Zweimal versenkte Gasly den Red Bull in der Streckenbegrenzung, einmal machte Verstappen Bekanntschaft mit dem Kiesbett.