Beim Blick auf die Startaufstellung könnte man einen nicht besonders spannenden Ungarn GP 2018 erwarten. Doch der Eindruck täuscht: Für Mercedes war der Regen ein Segen. Bei normalen Bedingungen ist der Ferrari das schnellste Auto. Die perfekte Ausgangsposition also für ein spannendes Formel-1-Rennen. Doch wer hat die besten Karten? Und was macht Red Bull noch von hinten? Der Favoriten-Check auf dem Hungaroring.

Lewis Hamilton startet einmal mehr von Pole Position. Es ist die 77. Pole des Briten, die sechste in Ungarn. Nur zwei Mal gewann er auf dem Hungaroring nicht, wenn er von vorne losfuhr. Eine naheliegende Statistik, glaubt man den Mercedes-Daten, die Hamilton einmal mehr gebetsmühlenartig vorbetet: "Das ist hier die drittschlechteste Strecke des Kalenders, um zu überholen."

"Trackposition ist der Schlüssel", fügt Hamilton an. Doch ganz so einfach ist es nicht, auch wenn der Hungaroring tatsächlich nicht zu den überholfreundlichsten Strecken zählt. Die erste große Möglichkeit für Ferrari und Sebastian Vettel gibt es am Start.

Mercedes zittert vor Ferraris Starts

Lewis Hamilton und Kimi Räikkönen starten auf den Positionen eins und drei von der sauberen Seite, Valtteri Bottas und Sebastian Vettel auf zwei und vier abseits der Ideallinie. "Früher hat das einen Unterschied ausgemacht, aber seit der Neuasphaltierung ist das nicht mehr so", wiegelt Hamilton ab.

Dabei zittert Hamilton weniger vor Bottas, als vielmehr vor den beiden Ferrari hinter ihm. Sein schlechter Start in Silverstone brachte Hamilton erst in die Situation, von Räikkönen abgeschossen zu werden. "Unsere Starts sind ziemlich konstant", weiß auch Vettel. "Aber Mercedes hat dort zuletzt oftmals etwas liegen lassen."

Auch wenn die Strecke in Ungarn nicht besonders breit ist, der Start hat es in sich. Der Sprint zur ersten Kurve ist mit 617,6 Metern sehr lang. Ein weiterer Vorteil für Ferrari. Es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass die Italiener den besten Motor haben. Nicht über die gesamte Renndistanz, aber im Qualifying und im Rennen kurzzeitig, wenn es darauf ankommt. Also am Start oder bei Restarts.

Der lange Sprint zu Kurve eins wird ein spannendes Beschleunigungsrennen. Es geht um den Start selbst und um die Motorenpower. Bei beiden Faktoren hat Ferrari leichte Vorteile. Gemeinsam mit etwas Windschatten hat Ferrari hier wohl die größte Chance, die Reihenfolge wieder zur drehen.

Mercedes fürchtet den Start so sehr, dass man die Reifenwahl wohl davon abhängig macht. Weil die schnellsten Runden im Q2 auf Intermediates gefahren wurden, haben alle Piloten beim Start freie Reifenwahl.

Leichtes Blistering am Mercedes-HinterreifenFoto: Motorsport-Magazin.com

Zwar ist eine Einstopp-Strategie mit Start auf Ultrasoft theoretisch die schnellste Variante, die 70 Runden zu absolvieren, doch die Soft-Variante am Start wäre die sicherere Nummer - und nur unwesentlich langsamer. Für Mercedes ist die zweite Variante womöglich sogar die deutlich schnellere. Auf dem Soft-Reifen hatten die Silberpfeile am Freitag kaum Probleme, der Ultrasoft bereitete hingegen Kopfzerbrechen.

Aber Mercedes kann es sich nicht leisten, den Traktionsvorteil der Ultrasoft-Reifen herzuschenken. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir das Risiko eingehen, unsere Positionen am Start dafür zu verlieren", meint Hamilton.

Die Reifenwahl ist auch extrem spannend für Ferrari. Spekuliert man auf einen Undercut, macht der Ultrasoft mehr Sinn. Will man Mercedes am Ende des ersten Stints unter Druck setzen, empfiehlt sich der Soft. Gut möglich, dass Ferrari die Strategie splittet, um Mercedes doppelt unter Druck zu setzen. Aber was macht Mercedes? Ebenfalls die Strategien splitten? Dann riskiert man, am Start kassiert zu werden.

Die größeren Probleme erwartet im Rennen Mercedes. Die Temperaturen sollen am Sonntag sogar noch über jenen vom Freitag liegen. Dort gab es ausgerechnet bei den Longruns etwas Schatten, die Streckentemperatur sank. Der extrem dunkle Asphalt ist bei Sonneneinstrahlung besonders temperaturempfindlich.

Longruns auf Ultrasoft, gefahren mit vollen Tanks

Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Durchschntl. Zeit
Verstappen 16 12 1:22,351
Vettel 26 17 1:22,510
Hamilton 21 11 1:22,667
Räikkönen 13 3 1:22,682
Ricciardo 16 11 1:22,716
Bottas 22 12 1:22,734

Mercedes war schon am Freitag das Top-Team, das die größten Probleme mit Blistering hatte. Wird der Asphalt noch heißer, verschlimmert sich das Problem. "Laut unseren Rechnungen waren wir im Longrun nur das drittschnellste Team", mahnt Valtteri Bottas. Auch Teamkollege Hamilton weiß um die Problematik: "Der Schlüssel wird sein, durch den Stint zu kommen, ohne über die Temperaturlimits zu kommen."

Longruns auf Soft, gefahren mit leeren Tanks

Fahrer Reifen-Alter Stint-Länge Durchschntl. Zeit
Vettel 19 8 1:20,908
Hamilton 21 11 1:21,290
Bottas 24 15 1:21,301
Verstappen 16 12 1:21,315
Ricciardo 20 10 1:21,407

Doch auch Ferrari hat ein gravierendes Problem: Selbst wenn sich die bisherige Pace im Trockenen bewahrheitet und die Scuderia das klar schnellste Auto haben sollte, die Fahrt in verwirbelter Luft könnte der Tod des Reifenvorteils sein. Schon in Österreich, als Blistering im Rennen ein großes Thema war, konnte man ganz klar sehen, dass Verkehr das Aufplatzen der Gummis extrem beschleunigte.

Schnellste Strategien beim Ungarn GP 2018

  • Schnellste: Ultrasoft (22 Runden), Medium bis ins Ziel
  • Etwas langsamer: Soft (27 Runden), Medium bis ins Ziel
  • Noch etwas langsamer: Ultrasoft (22 Runden), Soft bis ins Ziel
  • Deutlich langsamer: Zwei Stints auf Ultrasoft (je 16 Runden), Soft bis ins Ziel

In der Theorie rechnet Pirelli ganz klar mit einer Einstopp-Strategie. Aber die Theorie ist einmal mehr grau. Die Theorie enthält nämlich kein Blistering, sondern nur den normalen Reifenabbau. Tritt das extreme Überhitzen ein, wird es mit einem Stopp schwierig. Bei den vorhergesagten Temperaturen könnte das interessant werden.

Red Bulls Qualifying-Desaster der große Renn-Joker?

Und an dieser Stelle kommt möglicherweise noch Red Bull ins Spiel. Die Bullen waren im Qualifying eine riesengroße Enttäuschung. Im Regen hatten viele mit Max Verstappen und Daniel Ricciardo gerechnet. Verstappen landete am Ende auf Rang sieben, Ricciardo auf Platz zwölf. Mehr als eine mittlere Katastrophe.

Die Ursache ist schnell gefunden: Red Bull bekam die Reifen schlichtweg nicht auf Temperatur. Was im Regen zum kompletten Performance-Verlust führte, könnte im Rennen der Joker sein. Mit der starken Longrun-Pace vom Freitag könnte Red Bull bei der reinen Performance sogar Ferrari unter Druck setzen. Doch dafür müsste Red Bull erst einmal gegen Ferrari kämpfen.

Je nachdem, wie schnell Verstappen an Sainz und Gasly vorbeikommt, kann der Niederländer vielleicht tatsächlich noch ein Wörtchen mitsprechen. Für ganz nach vorne braucht er aber wohl unterschiedliche Strategien - an beiden Mercedes und Ferrari wird er aus eigener Kraft nicht vorbeikommen.

Fazit: Die Ausgangslage ist perfekt, weil das schnellste Auto nicht vorne startet. Mercedes hat im Trockenen Probleme. Nicht nur auf eine Runde, sondern auch auf dem Longrun. Der Start wird nicht die einzige brenzlige Situation für die Silberpfeile sein.