Seit Beginn der Turbo-Hybridära hatte Mercedes stets den besten Motor der Formel 1. 2014 sahen Ferrari und Renault neben Mercedes wie Amateure aus, die Mannschaft von Andy Cowell schien die komplexe Motorentechnik als einzige durchblickt zu haben.

Jahrelang galt der Mercedes-Antrieb als klarer Klassenprimus - bis jetzt. In der Formel-1-Saison 2018 scheint Ferrari erstmals über den besten Antrieb zu verfügen. Besonders offensichtlich wurde das zuletzt in Silverstone und jetzt in Hockenheim.

"Sie sind so schnell auf den Geraden", verriet Lewis Hamilton nach dem Qualifying zum Deutschland GP. "Wir hätten nicht erwartet, dass sie dort drei Zehntel holen", so der Brite weiter. Mercedes Motorsportchef Toto Wolff legte noch einen drauf: "Es ist sogar eine halbe Sekunde, die sie auf den Geraden hier gewinnen."

Tatsächlich verlor Valtteri Bottas die Pole Position in den ersten beiden Sektoren gegen Sebastian Vettel. Bottas lag auf seiner schnellsten Runde nach den ersten beiden Power-Sektoren schon 0,453 Sekunden hinter Vettel. Erst im letzten Sektor, dem winkligen Motodrom, holte Bottas Zeit auf.

Topspeeds im Qualifying zum Deutschland GP

Rang Fahrer Team Motor Geschwindigkeit
1 Perez Force India Mercedes 326,6
2 Räikkönen Ferrari Ferrari 324,7
3 Ericsson Sauber Ferrari 324,1
4 Vettel Ferrari Ferrari 322,6
5 Grosjean Haas Ferrari 320,9
6 Sirotkin Williams Mercedes 320,8
7 Bottas Mercedes Mercedes 320,6
8 Leclerc Sauber Ferrari 320,1
9 Ocon Force India Mercedes 320
10 Stroll Williams Mercedes 319,9
11 Magnussen Haas Ferrari 319,5
12 Hülkenberg Renault Renault 319,2
13 Gasly Toro Rosso Honda 317,9
14 Sainz Renault Renault 317,8
15 Hamilton Mercedes Mercedes 316,4
16 Hartley Toro Rosso Honda 314,1
17 Vandoorne McLaren Renault 313,8
18 Verstappen Red Bull Renault 312,2
19 Alonso McLaren Renault 311,6
20 Ricciardo Red Bull Renault 310,7

Dabei sind die Geschwindigkeitswerte gar nicht so beeindruckend. Sebastian Vettel wurde am Ende der Parabolica mit 322,6 km/h geblitzt, Valtteri Bottas mit 320,6 km/h. Zum Vergleich: Max Verstappen hatte nur 312,2 Stundenkilometer an der gleichen Stelle.

Doch Vorsicht: Nicht die Endgeschwindigkeit ist für die Rundenzeit entscheidend. Viel wichtiger ist die Beschleunigungsphase. Wenn das Traktionslimit der Reifen überstanden ist, zahlt sich reine Motorleistung mehr aus als im oberen Geschwindigkeitsbereich.

Beste Sektorzeiten im Qualifying zum Deutschland GP

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Vettel 15,279 Vettel 34,159 Bottas 21,525
Verstappen 15,355 Räikkönen 34,289 Räikkönen 21,728
Bottas 15,419 Bottas 34,472 Verstappen 21,734
Räikkönen 15,461 Leclerc 34,62 Vettel 21,743
Magnussen 15,506 Magnussen 34,71 Magnussen 21,984
Hülkenberg 15,538 Verstappen 34,733 Grojsean 22,098
Grosjean 15,558 Perez 34,744 Hülkenberg 22,104
Perez 15,602 Sainz 34,775 Hamilton 22,174
Sainz 15,685 Hülkenberg 34,828 Ricciardo 22,221
Alonso 15,699 Grosjean 34,829 Leclerc 22,229
Leclerc 15,747 Hamilton 34,947 Sainz 22,232
Ocon 15,774 Ericsson 35,105 Perez 22,318
Ericsson 15,791 Ocon 35,122 Alonso 22,491
Sirotkin 15,809 Hartley 35,228 Sirotkin 22,516
Hamilton 15,821 Gasly 35,239 Ericsson 22,584
Ricciardo 15,827 Ricciardo 35,268 Gasly 22,603
Gasly 15,907 Sirotkin 35,324 Ocon 22,747
Vandoorne 15,933 Alonso 35,331 Hartley 22,762
Stroll 15,956 Stroll 35,451 Vandoorne 22,78
Hartley 16,055 Vandoorne 35,548 Stroll 22,799

Ein gutes Beispiel dafür ist auch Kimi Räikkönen: Der Finne fährt noch nicht mit der letzten Ausbaustufe des Ferrari-Motors. Bei den Topspeeds liegt Räikkönen jedoch fast durchwegs vor Vettel. Und trotzdem verliert er seine gesamte Zeit in den ersten beiden Power-Sektoren. Im Motodrom war er sogar ein paar Tausendstel schneller als Vettel.

Toto Wolff versucht das Problem erst einmal mit Humor wegzulachen: "Ich habe jetzt die letzten Jahre Christian Horner ständig gehört, wie er sich über Geschwindigkeit auf der Geraden beschwert hat, deshalb will ich das nicht machen."

Mercedes rätselt: Warum ist Ferrari so stark?

Bei Mercedes rätselt man aber nun, wie man so viel Performance auf Ferrari einbüßen konnte. Während in Maranello der Pfarrer die Glocken läuten lässt, läuten in Brixworth die Alarmglocken. "Das war heute ein ernster Weckruf", gestand Wolff. "Wir müssen sehen, wie wir unsere Leistungsgabe von Verbrennungsmotor, Batterie oder MGU-H verbessern können."

Einige im Fahrerlager glauben, dass Ferrari die Grenzen des Reglements beim Thema Ölverbrauch und Abruf der elektrischen Energie etwas mehr auslotet als die Konkurrenz. Wolff will sich aber auf derlei Spiele - zumindest öffentlich - nicht einlassen.

"Wir blicken auf uns selbst, wie wir das erreichen können. Und wenn nicht, dann müssen wir sehen, wie es die anderen schaffen. Sie haben einen außerordentlichen Entwicklungsschritt hingelegt. Wenn sie das schaffen können, dann müssen wir das auch schaffen", fordert Wolff.

Dass bei Ferrari derzeit tatsächlich der Motor der Erfolgsgarant ist, zeigen auch die Kundenteams. Beide Haas waren erneut Best of the Rest, Charles Leclerc schaffte mit dem Sauber einmal mehr den Einzug ins Q3.

Für Mercedes ist der Motorenrückstand doppelt beunruhigend: Erstens sind die Entwicklungsschritte an der Power Unit längst nicht mehr so groß wie zu Beginn der Ära im Jahr 2014. Die Lernkurve ist inzwischen etwas abgeflacht. Zudem dürfen über die Saison lediglich zwei, respektive drei Motoren eingesetzt werden. Selbst wenn man auf dem Prüfstand etwas findet, kann man es nicht sofort einsetzen.