Die Vorzeichen für den Frankreich GP standen auf Mercedes: Streckencharakteristik, Asphalt und Reifen scheinen den Silberpfeilen entgegenzukommen. Der Freitag in Le Castellet schien den Eindruck zu verstärken, Lewis Hamilton dominierte die Trainings offenbar nach Belieben. Oder täuscht der Eindruck? "Wir haben schon in der Vergangenheit gute Freitage erlebt und wurden dann am Samstag und Sonntag enttäuscht", sagt Mercedes Technikchef James Allison.

Doch wie sah der Freitag wirklich aus? Ganz einfach waren die Ergebnisse nicht zu lesen. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass die schnellsten Zeiten nicht am Nachmittag gefahren wurden. Hamilton fuhr am Vormittag rund drei Zehntelsekunden schneller als am Nachmittag. Und was war mit Sebastian Vettel? Die übliche Trainings-Schwäche oder die Barcelona-Tendenz? Motorsport-Magazin.com analysiert den Frankreich-Freitag.

Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko hatte die gute Nachricht an alle neutralen Leser. "In Barcelona war Mercedes viel überlegener als hier", meinte der Doktor im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Hamilton ist schnell, keine Frage, aber die 0,6 Sekunden, die er uns im letzten Sektor abnimmt, sind zu viel. Wir haben das Setup noch nicht richtig hinbekommen, wir bekommen aus den Ultrasoft- und den Supersoft-Reifen noch nicht das Maximum heraus."

Wind macht den Piloten in Frankreich das Leben schwer

Die von Marko angesprochenen sechs Zehntelsekunden beziehen sich allerdings auf das zweite Training. Am Vormittag, als die schnellsten Zeiten gefahren wurden, war Ricciardo nur drei Zehntelsekunden auf die gesamte Runde langsamer.

Tatsächlich waren es nicht einmal die extrem hohen Temperaturen, die den Piloten am Nachmittag zu schaffen machten. Vielmehr war es der Wind: Zwischen den beiden Trainingssitzungen drehte sich der Wind um 180-Grad. Gerade auf einer Aero-Strecke wie dem Circuit Paul Ricard ist das nicht zu unterschätzen.

Kumuliertes Trainingsergebnis Frankreich Freitag

POS Fahrer Team Zeit Rückstand
1 Lewis Hamilton Mercedes-AMG 1:32,231
2 Valtteri Bottas Mercedes-AMG 1:32,371 0,140
3 Daniel Ricciardo Red Bull 1:32,527 0,296
4 Kimi Räikkönen Ferrari 1:33,003 0,772
5 Sebastian Vettel Ferrari 1:33,172 0,941
6 Max Verstappen Red Bull 1:33,271 1,040
7 Romain Grosjean Haas F1 Team 1:33,318 1,087
8 Pierre Gasly Toro Rosso 1:33,685 1,454
9 Sergio Pérez Force India 1:33,719 1,488
10 Kevin Magnussen Haas F1 Team 1:34,108 1,877
11 Carlos Sainz jr, Renault 1:34,258 2,027
12 Fernando Alonso McLaren 1:34,400 2,169
13 Esteban Ocon Force India 1:34,484 2,253
14 Charles Leclerc Sauber 1:34,513 2,282
15 Marcus Ericsson Sauber 1:34,592 2,361
16 Brendon Hartley Toro Rosso 1:34,664 2,433
17 Lance Stroll Williams 1:34,881 2,650
18 Nico Hülkenberg Renault 1:34,993 2,762
19 Stoffel Vandoorne McLaren 1:35,021 2,790
20 Sergey Sirotkin Williams 1:35,105 2,874

"Diese Strecke ist ein absoluter Front-Killer", erklärt Pirellis Formel-1-Einsatzleiter Mario Isola. Die langgezogenen Kurven machen vor allem der Vorderachse zu schaffen. Durch den drehenden Wind mussten die Piloten am Nachmittag aber plötzlich auf die Hinterreifen achten. Die Gefahr, dass man sich deshalb im Setup verrennt, ist groß.

Doch ungeachtet dessen lag Hamilton in beiden Trainingssitzungen vorne. Egal also, von welcher Seite der Wind blies. Am Nachmittag kam Teamkollege Valtteri Bottas nicht in Fahrt, weil es an seinem Auto Probleme am Kühlsystem gab. Am Vormittag, als noch alles glatt lief für den Finnen lief, belegte er hinter Lewis Hamilton Platz zwei.

Der Mercedes scheint also zu laufen. Mit ein Grund dafür ist auch der neue Motor. In letzter Sekunde konnten in der Motorenfabrik die überarbeiteten Power Units gefertigt werden. Das Update wurde ohnehin schon von Kanada auf Frankreich verschoben. Wie viel das genau bringen soll, will Mercedes nicht sagen. Bei Renault brachte das Upgrade rund 0,3 Sekunden. Allerdings wird der Motor-Schritt erst im Qualifying richtig deutlich. Am Freitag dreht noch keiner Hersteller die Motoren hoch.

Mercedes für Frankreich Favorit, Ferrari erneut schwer einzuschätzen

Angesichts der Freitags-Performance und dem Motor-Faktor am Samstag dürfte Mercedes zumindest von Red Bull im Qualifying nichts zu befürchten zu haben. Ferrari hingegen kann den Motor inzwischen im Zeittraining mehr aufdrehen als der Erfinder des Party-Modes. Aber reicht das bei dem großen Rückstand?

Wer die Saison aufmerksam verfolgt, für den ist Ferraris Rückstand keine Neuigkeit. Gefühlt hatte Sebastian Vettel an jedem Freitag Probleme. "Es fehlte etwas der Rhythmus", beklagte der Deutsche. Diese Aussage könnte von Australien bis Kanada von jedem Freitag stammen.

Und auch die weiteren Aussagen hören sich nach dem Standard-Repertoire von Vettel an: "Es fühlt sich so an, dass das Auto noch viel mehr hergeben kann, aber ich komme irgendwie noch nicht so hin. Das Schloss ist da, aber mir fehlt der Schlüssel, um es aufzuschließen."

Tatsächlich fällt die Ferrari-Analyse nicht leicht. Denn die Longruns sind einmal mehr schwierig zu lesen. Vettel fuhr als einziger Top-Pilot einen richtig langen Stint auf Supersoft und opferte dafür einige Runden Ultrasoft. Außerdem fuhren die Top-Teams wieder zu unterschiedlichen Zeiten auf den beiden Mischungen. Das macht die Analyse nahezu unmöglich.

Longruns Ultrasoft

Fahrer Durchschnt. Zeit Reifen-Alter Stint-Länge Gefahren gegen
Vettel 1:36,403 7 3 Ende
Verstappen 1:37,212 7 3 Ende
Hamilton 1:37,940 14 5 Anfang
Räikkönen 1:38,023 15 7 Ende
Ricciardo 1:38,657 12 7 Anfang

Auf dem Ultrasoft fuhr Vettel am schnellsten, allerdings hatte sein Stint nur drei Runden und der Ferrari-Pilot fuhr ganz am Ende mit leerem Tank. Aber trotzdem waren diese drei Runden außerordentlich schnell. Auch sein Supersoft-Longrun war im direkten Vergleich mit Max Verstappen, der zur gleichen Zeit auf der mittleren Reifenmischung unterwegs war, schnell. Drei Zehntel fehlten dem Red-Bull-Piloten.

Longruns Supersoft

Fahrer Durchschnt. Zeit Reifen-Alter Stint-Länge Gefahren gegen
Hamilton 1:37,277 12 3 Ende
Ricciardo 1:37,489 12 9 Ende
Vettel 1:37,752 27 14 Anfang
Verstappen 1:38,077 17 4 Anfang

Allerdings holte Vettel die Zeit mit am Ende seines Runs, als das Auto leichter war. Die ersten vier Runden von Verstappen und Vettel waren fast identisch. Danach wechselte der Red-Bull-Pilot schon auf die Ultrasofts, während Vettel noch zehn Runden weiter auf Supersoft fuhr.

Dass aber auch Kimi Räikkönen nicht deutlich schneller als Sebastian Vettel konnte, gibt etwas zu denken. Auch wenn es bei Vettel zuletzt am Freitag nicht lief, der Finne holte meistens die Ferrari-Kohlen im Training aus dem Feuer.

Dafür lief es bei Red Bull einmal mehr zweigeteilt. "Verstappen hatte noch mehr Probleme mit dem Setup", bestätigte Marko. Der Niederländer war der einzige Pilot, der am Nachmittag schneller fuhr als im 1. Training. Red Bull ging bei beiden Piloten in unterschiedliche Setup-Richtungen, um mehr Daten zu sammeln. Welche Richtung eingeschlagen wird, dürfte nach dem Ergebnis klar sein.

Reifen-Delta in Frankreich offenbar größer als von Pirelli berechnet

Dass die Rundenzeiten mit leeren Tanks schneller werden ist ein klares Zeichen dafür, dass es am Sonntag nur einen Stopp geben wird. Trotz ein paar geflickter Stellen auf dem neuen Asphalt, die deutlich rauer sind, bauen die Reifen quasi überhaupt nicht ab. Dazu wurde das Tempolimit in er Boxengasse von 80 auf 60 Stundenkilometer herabgesetzt.

Ein Schlüsselfaktor wird sein, wer im Q2 mit Supersoft-Pneus durchkommt. Pirelli tut sich noch schwer mit genauen Delta-Zeiten. Erwartet wurden zwischen Ultrasoft und Supersoft 0,3 Sekunden. Die Daten am Freitag ergaben aber mehr als eine Sekunde. Pirelli zweifelt diese Daten zwar an, aber sollte sich das bewahrheiten, werden es auch die Top-Teams nicht ganz einfach haben, sich auf Supersoft für Q3 zu qualifizieren.

Fazit: Mercedes ist nach dem Freitag der Top-Favorit und deutlich stärker einzuschätzen als noch zuletzt in Kanada. Ferrari ist wie immer am Freitag schwer zu beurteilen, macht aber keinen so guten Eindruck wie vor zwei Wochen. Der Qualifying-Modus könnte Red Bull aber im Kampf gegen Vettel und Räikkönen einmal mehr das Genick brechen. Weil Überholen nahezu unmöglich sein dürfte, braucht Red Bull im Rennen wie schon in Barcelona einen Strategiefehler von Ferrari oder andere Umstände. Aus eigener Kraft wird es schwierig.