Beim Bau des Shanghai International Circuit spielte Geld keine Rolle - es herrscht Gigantismus, wohin man auch blickt. Das Projekt, das 2004 fertiggestellt wurde und von Star-Streckenarchitekt Hermann Tilke geleitet wurde, ist nicht nur in Bezug auf die Rennstrecke selbst ein Meisterstück. Etwa 30 Kilometer vom Stadtzentrum der Millionenmetropole entfernt, stellte der Untergrund die Erbauer vor eine große Herausforderung. Die 5,451 Kilometer lange Rennstrecke wurde auf Sumpfgebiet erbaut, weshalb Styroporplatten die komplette Strecke tragen und dafür sorgen sollen, dass der Asphalt auch nach mehreren Jahrzehnten noch eben ist.

Die Größe der Anlage ist beeindruckendFoto: Sutton

Bis zu 14 Meter hohe Styroporschichten sorgen für den nötigen Auftrieb, Pfähle mit einer Länge von teilweise 80 Metern sorgen für zusätzliche Stabilität. Nicht zu Unrecht wird von einem Meilenstein im Tiefbauingenieurwesen gesprochen. Nachdem der gesamte asiatische Styropor-Markt für das Riesenprojekt leer gekauft wurde, sparten die Chinesen auch nicht beim Bau der Boxenanlage. Das Fahrerlage, das traditionelle chinesische Elemente enthält, wird über zwei riesige Brücken mit den Tribünen der Start-/Ziel-Geraden verbunden, die das Bild der Strecke nachhaltig prägen.

Auch beim Layout der Rennstrecke war Tilke dazu angehalten, Tradition aus dem Reich der Mitte einfließen zu lassen. Nicht zufällig gleicht der Shanghai International Circuit also dem chinesischen Schriftzeichen 'Shang', das so viel wie 'aufwärts' oder 'oben' bedeutet. Charakteristisch ist vor allem die Schneckenkurve, die unmittelbar auf die Start-/Ziel-Gerade folgt. Mit über 300 Stundenkilometer bremsen die Piloten in die Kurve, die sich zum Kurvenscheitelpunkt hin immer weiter verengt, hinein. In der Theorie sind mehrere Ideallinien möglich, in der Praxis kristallisiert sich jedoch über das Rennwochenende wegen des Gripniveaus eine einzige heraus.

Die im Formel-1-Kalender einzigartige Kurve stellt auch spezielle Anforderungen an das Motor-Mapping. Um eine stabile Hinterachse während der Bremsphase zu garantieren und die Reifen nicht zu stark zu beanspruchen, reduzieren die Ingenieure die Motorbremse, Fachleute sprechen hier vom sogenannten 'Overrun'. Auch das Herausbeschleunigen aus der Schneckenkurve ist extrem wichtig, schließlich führt die Beschleunigungsphase durch einen sich öffnenden Linksknick. Um die Hinterreifen zu schonen, ist ein sensibler Gasfuß in Verbindung mit guter Fahrbarkeit des Motors gefragt.

Das Herausbeschleunigen aus der Schneckenkurve ist entscheidendFoto: Sutton

Allein der Mittelsektor hält für die Piloten parat, was teilweise auf kompletten Rennstrecken nicht zu finden ist. Mit knapp 300 km/h wird die erste Haarnadelkurve angesteuert, ehe es in eine Highspeed-Kurvenkombination geht, die im sechsten Gang mit etwa 270 Stundenkilometern durchfahren wird. In Kurve acht folgt ein flüssiger Richtungswechsel, die Fahrer schalten zurück und bereiten sich auf das Anbremsen der langsamen Doppel-links-Passage vor. Anschließend folgt eine mittellange Gerade, die zum dritten Streckenabschnitt führt.

Zunächst verzögern die Boliden auf unter 90 km/h, bevor die nächste entscheidende Passage ansteht. Eine extrem langgezogene Rechtskurve führt auf die längste Gerade im Rennkalender. Um möglichst viel Geschwindigkeit auf die rund 1200 Meter lange Gerade mitzunehmen, greifen die Ingenieure auch hier in die Trickkiste. Bei Renault gehen die Techniker von einer 'weicheren' Gaspedal-Charakteristik aus, die auf den ersten Millimetern des Pedalweges weniger Kraft liefert, eine 'Traktionskontrolle light' ist die Folge. Auch damit sollen die sensiblen Pirelli-Pneus zusätzlich geschont werden."Die Kurven 12 und 13 sind schwierig richtig zu nehmen, da sie viel Technik verlangen", weiß auch Sebastian Vettel.

Untypische Streckencharakteristik

Auf der langen Geraden ist dann die reine Motorenpower und entsprechend wenig Luftwiderstand gefragt. Auch KERS spielt hier eine entscheidende Rolle, ein rechtzeitiger Einsatz lässt die Höchstgeschwindigkeit früher erreichen. Um die - ohnehin schon für Überholmanöver prädestinierte -Stelle zusätzlich zu puschen, dürfen die die Heckflügel hier flachgestellt werden. Am Ende der etwa 18 Sekunden dauernden Vollgaspassage müssen die Boliden von über 320 auf 60 Kilometer pro Stunde verzögern. Dabei wird der Kopf des Fahrer mit über 6 G in Richtung Lenkrad gedrückt, eine Energie von fast 2,9 Kilowatt wird beim Bremsvorgang freigesetzt.

Bevor es wieder auf die Start- und Zielgerade geht, wo in diesem Jahr die zweite DRS-Zone sein wird, muss eine schnelle Linkskurve bewältigt werden. Hier werden die Fahrer oftmals zu einer weiten Linie verleitet, die über den Rasenteppich - und nicht selten auch darüber hinaus - führt. Das untypische und vermischte Streckenlayout macht den Ingenieuren zu schaffen, wie Renault-Mann Remi Taffin weiß: "Einerseits gibt es hier diese sehr lange Gerade, andererseits liegt der Vollgasanteil der gesamten Runde eher unter dem Durchschnitt. Dieser Zwiespalt ist ungewöhnlich." Die Motor-Techniker müssen also den perfekten Kompromiss aus guter Fahrbarkeit und maximaler Leistung finden, ähnlich wie die Piloten bei der Abstimmung der Aerodynamik.

Wegen des etwas kühleren Wetters und der sanfteren Oberfläche des chinesischen Asphalts erwarten die Teams auf Reifenseite keine so großen Schwierigkeiten, wie noch beim Rennen in Malaysia. Auch Valtteri Bottas glaubt, dass es eher Probleme in die andere Richtung geben wird: "Es wird für alle Teams die größte Herausforderung, die Reifen zum Arbeiten zu bekommen." Auch wenn die kühleren Temperaturen für mehr Sauerstoffgehalt und entsprechend mehr Motorleistung sorgen, so gibt es noch einen weiteren Faktor zu bedenken. "Der Kurs von Shanghai liegt in einem Industriegebiet direkt neben großen Fabriken. Einige davon produzieren Zement und entsprechend viele Staubpartikel schweben in der Luft", so Taffin. Ein besonderes Augenmerk liegt deshalb auf den Luftfiltern, die nach jeder Sessison genau inspiziert werden.